VBV im Diskurs #8 - 2025

VBV IM DISKURS Band 8 Herausgeber: Andreas Zakostelsky, Gabriele Faber-Wiener Nachhaltigkeit – Mythen & Vorurteile auf dem Prüfstand

VBV IM DISKURS Band 8 NACHHALTIGKEIT – MYTHEN & VORURTEILE AUF DEM PRÜFSTAND

— 5 — „Wir tragen als Vordenker und Unternehmen mit Verantwortung maßgeblich zu Klimaschutz und Lebensqualität in Österreich bei.“ CSR-Vision der VBV-Gruppe

— 6 — Inhalt

— 7 — Editorial der Herausgeber:innen Andreas Zakostelsky, VBV-Gruppe 9 Gabriele Faber-Wiener, Center for Responsible Management 13 Gespräche Führt Nachhaltigkeit zu Wohlstandsverlust? 16 Bremst Nachhaltigkeit die Wirtschaft? 30 Nachhaltigkeit bei der VBV 44 Impressum 7

— 9 — Nachhaltigkeit – Mythen & Vorurteile auf dem Prüfstand Wir haben uns bei den beiden hochkarätigen Veranstaltungen von „VBV im Diskurs“ im Jahr 2024 den größten Vorurteilen über die Nachhaltigkeit gestellt. Als Informations- und Diskurs-Plattform war es uns wichtig, konkret anzusprechen und aufzuklären, welche Mythen sich rund um das Thema ranken. Unser Ansatz: Offen ansprechen trägt dazu bei, das eine oder andere Vorurteil aus der Welt zu schaffen … Gefährdet Klimaschutz den Wohlstand? In zwei hochkarätig besetzten Panels, u.a. mit Vizekanzler Werner Kogler, haben wir beleuchtet, welche Chancen und Risiken die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft birgt. Die erste Diskussion setzte den Fokus auf die Frage, ob Klimaschutz den Wohlstand gefährdet. Diskutant:innen wie Katharina Gangl (IHS) und Werner Kogler argumentierten, dass eine Neudefinition von Wohlstand – weg von reinem Konsum, hin zu Lebensqualität – nötig sei, um soziale Spannungen zu mindern. Das Feedback dazu von Monika Köppl-Turyna (EcoAustria) und auch von Eric Frey (Der Standard) war durchaus spannend. Das zweite Panel widmete sich der Perspektive, ob Nachhaltigkeit die Wirtschaft bremst oder beflügelt. Hier wurde klar, dass Innovation, technologische Fortschritte und kluge Regulierungen Europa eine Vorreiterrolle sichern könnten. Das merkten u.a. Expert:innen wie Katharina Rogenhofer an. Nachhaltigkeit keine Last, sondern eine immense Chance Die Beiträge aus der Top-Wirtschaft, zum Beispiel von Hartwig Löger (VIG) oder Patricia Neumann (Siemens) verdeutlichten, dass Nachhaltigkeit keine Last ist, sondern eine immense Chance darstellt, sowohl für die Andreas Zakostelsky Generaldirektor VBV-Gruppe, Vorstandsvorsitzender VBV-Vorsorgekasse

— 10 — Wirtschaft als auch für die Gesellschaft. Der Schlüssel liegt in einer positiven und transparenten Kommunikation, die die Vorteile der Transformation hervorhebt und alle Beteiligten mitnimmt. Der Weg zur Klimaneutralität ist herausfordernd, bietet jedoch auch die Möglichkeit, unseren Wohlstand neu und zukunftssicher zu definieren. „VBV im Diskurs“ zählt zu den führenden österreichischen Nachhaltigkeits-Formaten Nachhaltigkeit neu definieren – oder zumindest den Diskurs dazu zu forcieren, dieses Anliegen verfolgen wir mit unserem Nachhaltigkeits-Format „VBV im Diskurs“ seit Jahren. Diese Online-Diskurs-Reihe ist unser Ansatz als Leitbetrieb, bei dem wir uns als Nachhaltigkeits-Pionier gemeinsam mit der Expertin Gabriele Faber-Wiener und namhaften Gästen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft den brennendsten Fragen der Gegenwart stellen. Die Online-Diskurs-Reihe zählt mittlerweile zu den führenden österreichischen Nachhaltigkeits-Formaten. Seit Mai 2020 fanden bereits 24 Diskussions-Veranstaltungen mit 120 prominenten Diskutantinnen und Diskutanten statt. VBV setzt seit vielen Jahren auf Nachhaltigkeit Es geht uns aber nicht nur um den Diskurs. Wir nehmen unsere Verantwortung als nachhaltige Unternehmens-Gruppe seit vielen Jahren ernst. Mit unseren Vorsorgeprodukten wollen wir als Ergänzung zur staatlichen Vorsorge zu mehr Lebensqualität beitragen. Zudem setzt die VBV als Nachhaltigkeits- pionierin seit 20 Jahren Impulse für eine nachhaltigere Wirtschaft und Pensionsvorsorge. So pflegt die VBV seit Jahren ein umfassendes Umwelt- und Nachhaltigkeits-Management und stellt mit ihrer Pensionskasse und Vorsorgekasse auch gleich zwei von zehn Mitgliedsunternehmen der Green Finance Alliance des Klimaschutzministeriums. „Wir nehmen unsere Verantwortung als nachhaltige Unternehmens- Gruppe seit vielen Jahren ernst.“

— 11 — Unser Diskurs im Laufe des Jahres 2025 Wir setzen „VBV im Diskurs“ im Jahr 2025 natürlich fort. In Zeiten, in denen politisch, wie auch gesellschaftlich oft in sehr simplifizierender Weise gesprochen wird, und in denen manche – unangenehme – Fakten lieber auf die lange Bank geschoben werden, braucht es einen qualitativ hochwertigen, offenen Diskurs. Diesen werden wir auch dieses Jahr bieten und freuen uns, wenn Sie wieder mit dabei sind. Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich spannende Impulse durch das vorliegende Buch. Herzlichst, Ihr Andreas Zakostelsky Generaldirektor VBV-Gruppe, CEO VBV-Vorsorgekasse PS: Wie immer freue ich mich auch dieses Mal über Ihr Feedback an a.zakostelsky@vbv.at

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— 13 — „Das können wir uns nicht leisten!“ Diese Ansicht hält sich hartnäckig bei politischen Vertreter:innen, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Dabei hat der Großteil der österreichischen Unternehmen die Chancen der Nachhaltigkeit erkannt. Das belegt eine repräsentative Umfrage der Österreichischen Wirtschaftskammer vom Frühjahr 2024. Das Ergebnis: 80 % der Unternehmen wie auch der Bevölkerung sehen überwiegend die Chancen in der Nachhaltigkeit, und zwar sowohl für die Gesellschaft als auch die österreichischen Betriebe. Wie ist es möglich, dass sich trotzdem das Vorurteil hält, dass nachhaltig Wirtschaften eine lästige Bürde ist? Ein Grund besteht sicherlich in den vielen Veränderungen, die derzeit auf Unternehmen zukommen – vor allem puncto Nachhaltigkeit. Unternehmen müssen Investitionen für Klimaschutz tätigen, die den Gewinn reduzieren. Sie müssen bestehende Produktionsweisen in Frage stellen. Sie sind mit neuen Auflagen und einer kritischen Zivilgesellschaft konfrontiert. Da ist es nicht überraschend, dass schon überwunden geglaubte Vorurteile gegen Nachhaltigkeit wieder lauter und kräftiger werden. Aber auch gesamtökonomisch gesehen ist gerade jetzt vermehrt das Argument zu hören, dass überzogene Nachhaltigkeit Österreich und Europa auch international Nachteile bringen und die Wirtschaftskraft bzw. den Wirtschaftsstandort schwächen kann. Was ist wirklich dran an diesen Positionen? Einerseits stehen derzeit viele Unternehmen vor schwierigen Voraussetzungen, von der Wirtschaftskrise bis hin zum Arbeitskräftemangel – und müssen sich jetzt auch noch um Lieferkettenverordnung und CO2-Berechnungen kümmern. Dass das keine Begeisterung hervorruft, ist klar. Andererseits ist das Nicht-Beachten dieses Themas genau das, was uns daran hindert, zukunftsfähig zu werden und zu bleiben. Das ist ein Spannungsfeld, mit dem nicht leicht umzugehen ist. Prof.in (FH) Gabriele Faber-Wiener, MBA Center for Responsible Management „80 % der Unternehmen sehen überwiegend die Chancen in der Nachhaltigkeit.“

— 14 — Hinzu kommt, dass dieses Spannungsfeld massiv politisch genutzt wird. Das Jahr 2024 war ein „Superwahljahr“, das vielfältige politische Veränderungen gebracht hat. Klimaschutz und Nachhaltigkeit wurden und werden dabei zunehmend als politischer Spielball genutzt, um Ängste zu schüren – leider mit Erfolg. Vieles waren und sind Mythen und Vorurteile, die sich bei genauerer Betrachtung in Luft auflösen. Eines dieser Vorurteile betrifft das Verhältnis zwischen Nachhaltigkeit und Wohlstand. Müssen wir verzichten? Bringt uns Nachhaltigkeit Wohlstandsverluste? Müssen wir uns einschränken? Das sind sehr grundlegende Themen und Ängste, die von so manchen Parteien und Organisationen auch genutzt und im Wahlkampf strapaziert wurden. Dabei geht es an die Grundfesten. Selbst bisher unumstrittene Nachhaltigkeitsziele und Rahmenwerke, auf die man sich geeinigt hat, werden plötzlich wieder in Frage gestellt oder durch Scheinlösungen verwässert. Das schafft bei vielen Menschen, aber auch bei Unternehmen Verunsicherung. Und es verstärkt die Polarisierung – gerade auch bei uns in Österreich. Dabei wurde und wird oft ein Wort strapaziert und auch instrumentalisiert: Freiheit. Sowohl für Privatpersonen als auch Unternehmen, d.h. möglichst wenig Regeln und Vorgaben – einfach machen lassen. Dies mündete in eine liberale Wirtschaftsweise, die in den letzten 30 Jahren viel Schaden verursacht hat. Jetzt versucht man es mit mehr Regulatorik. Das kommt nicht gut an, da es als Einschränkung der unternehmerischen Freiheit gesehen wird. Aber ist es das wirklich? Schaffen nicht erst klare Regeln und Perspektiven den Rahmen, in dem man planen kann? Die Betonung liegt dabei auf dem Wort klar - was jetzt nicht der Fall ist, wenn wir z. B. an das Gezerre um das Klimaschutzgesetz und die Verbrenner denken. Was ist hier der goldene Weg? Den zu finden ist nicht leicht. Eines ist zentral: Vorurteile bringen uns nicht weiter. Im Gegenteil, Nachhaltigkeit erfordert Umdenken, und das wiederum verlangt, dass man objektiv an das Ganze herangeht, dass man offen ist für alternative Lebensstile, Konsumgewohnheiten, aber auch andere Wirtschaftsformen und neue Paradigmen, und da erlebe ich gerade in Österreich eine gewisse Engstirnigkeit, verbunden mit Pauschalierungen und Stereotypen – und die bringen uns bekanntlich nicht weiter, schon gar nicht in Zeiten von Umbrüchen, wo neue Ideen und Lösungen gefragt sind.

— 15 — Also befreien wir uns von dieser Schere im Kopf, die uns von echtem Fortschritt abhält. Genau das werden wir im Rahmen von „VBV im Diskurs“ auch weiterhin tun, indem wir Themen aufgreifen und offen diskutieren. Wir freuen uns, wenn Sie auch weiterhin dran bleiben! Ihre Gabriele Faber-Wiener g.faber-wiener@responsible-management.at

— 16 — Führt Nachhaltigkeit zu Wohlstandsverlust? NACHHALTIGKEIT – MYTHEN & VORURTEILE AUF DEM PRÜFSTAND

— 17 — • Schmälert Nachhaltigkeit unseren Wohlstand oder gewinnen wir damit nicht an Lebensqualität? • Führen die Verbote und Auflagen wirklich zu persönlichen Freiheitsverlusten? • Wie kann man mit diesen Vorurteilen und der zunehmenden Verunsicherung und Polarisierung umgehen? • Wie kann man einem wachsenden – politisch bedingten – Backlash gegen Maßnahmen für Nachhaltigkeit und Klimaschutz gegensteuern? VBV im Diskurs – 13. Juni 2024

— 18 — Dr. Eric Frey Leitender Redakteur bei „Der Standard“ Der Politikwissenschafter arbeitet seit 33 Jahren bei der Tageszeitung „Der Standard“, zuletzt als Leitender Redakteur und Textchef, und schreibt Analysen und Kommentare über Weltpolitik, Wirtschaft und viele andere spannenden Themen. Priv.-Doz. Dr. Katharina Gangl Leiterin der Forschungsgruppe Verhaltensökonomie am Institut für Höhere Studien (IHS) Priv. Doz. Dr. Katharina Gangl ist Wirtschafts- und Sozialpsychologin mit Spezialisierung auf Verhaltensökonomie. Sie ist Leiterin der Forschungsgruppe Verhaltensökonomie am Institut für Höhere Studien (IHS). Mag. Werner Kogler Vizkanzler, Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst & Sport Der Umweltökonom führte Anfang 2000 die GRÜNEN in ihre erste Regierungsbeteiligung auf Bundesebene. Seit 2017 ist er Bundessprecher der GRÜNEN. Von 1999 bis 2017 war er Abgeordneter im Nationalrat. ZU GAST:

— 19 — Prof. Dr. Monika Köppl-Turyna Direktorin des EcoAustria, Institut für Wirtschaftsforschung Prof. Dr. Monika Köppl-Turyna ist Direktorin von EcoAustria sowie Professorin an den Universitäten Warschau und Seeburg. Darüber hinaus ist sie Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Klimarats der Bürgerinnen und Bürger. Dr. Ulrich Thielemann Autor, Direktor der Berliner Denkfabrik für Wirtschaftsethik e.V. PD Dr. Ulrich Thielemann, Gründer und Direktor der Denkfabrik für Wirtschaftsethik. Zuvor Vizedirektor am Institut für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen und dort Privatdozent. VBV IM DISKURS

— 20 — Führt Nachhaltigkeit zu Wohlstandsverlust?

— 21 — Sind Nachhaltigkeit und Klimaschutz eine Gefahr für unseren Wohlstand? Das Klima rund ums Klima war schon mal deutlich besser. Während „Fridays for Future“ stellvertretend für die Klimabewegung vor wenigen Jahren noch durchwegs positiv wahrgenommen wurde, ist die Zustimmung zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz mittlerweile abgeflaut. Pandemie, Krieg und wirtschaftliche Sorgen haben die Prioritäten der Menschen verändert, und rechtspopulistische Parteien schüren offensiv die Angst vor den Kosten der Klimapolitik. Wenn AfD, FPÖ, Vlaams Belang oder Front National über Nachhaltigkeit oder den Green Deal der Europäischen Union sprechen, ist häufig von „Klimafanatismus“ oder „Wohlstandsvernichtung“ die Rede. Viele dieser rechten Parteien fordern die Abkehr von allen Klimaschutzzielen und der damit verbundenen Energiewende. Im Zusammenhang mit deren Zugewinnen bei der Wahl zum EU-Parlament muss man diese Bedenken ernst nehmen. In der 23. Ausgabe der Diskussionsreihe „VBV im Diskurs“ wurde mit Expertinnen und Experten aus den verschiedensten Bereichen beleuchtet, was ein Rechtsruck für die Klimapolitik bedeutet und wie sich diese auf unseren Wohlstand auswirkt. Die Nachhaltigkeitsexpertin und Leiterin des Center for Responsible Management, Gabriele Faber-Wiener, sieht wichtige Vereinbarungen im Bereich Nachhaltigkeit bedroht: „Selbst bisher unumstrittene Ziele oder Rahmenwerke wie der Green Deal der EU, auf die man sich in einem mühsamen Prozess geeinigt hat, werden plötzlich wieder infrage gestellt, aufgeweicht, durch Scheinlösungen verwässert. Das schafft bei vielen Menschen, aber auch bei vielen Unternehmen, mit denen ich arbeite, sehr viel Verunsicherung.“ Andreas Zakostelsky, Generaldirektor der VBV-Gruppe und CEO der VBV-Vorsorgekasse, sieht die Politik in der Verantwortung, nachhaltig und vorausschauend zu handeln. Sich als politische Partei in Zeiten von Fridays for Future für Nachhaltigkeit einzusetzen und damit auf einen beliebten Zug aufzuspringen, ist aus seiner Sicht „keine Hexerei“, aber wirklich notwendig ist ein Festhalten am Thema – und zwar in guten und besonders auch in schlechten Zeiten.

— 22 — Verteilungseffekte und Wohlstand Der Rechtsruck gehe auf den „immensen Druck, der auf den Beschäftigten lastet, zurück, die auf keinen grünen Zweig mehr kommen, die ständig Reorganisationen zu erdulden haben, die sagen: ‚Wir strampeln uns ab, um nur nicht zurückzufallen‘“, hält der Autor und Direktor der Berliner Denkfabrik für Wirtschaftsethik Ulrich Thielemann fest. Zusätzlich besteht die Angst, zugunsten des Klimaschutzes auf neue Heiz- oder Antriebssysteme umstellen zu müssen, obwohl man sich diese vielleicht gar nicht leisten kann. Das wird als ungerecht empfunden. Dass man die Verteilungseffekte der Klimapolitik nicht außer Acht lassen darf, meint auch Eric Frey, leitender Redakteur bei der Tageszeitung Der Standard. „Es gibt Gewinner und Verlierer, das darf man nicht unterschätzen. Man muss diesen Verlierern der Nachhaltigkeit, der Energiewende, des Klimaschutzes, sehr gute, starke Angebote machen und darf sie nicht als Klimaleugner oder Schwurbler abtun.“ Er warnt vor dem Zurücklassen jener Menschen, deren Arbeitsplätze durch den Abbau herkömmlicher, klimaschädlicher Technologien verloren gehen. Dieser Unzufriedenheit muss man durch das Aufzeigen von Alternativen entgegenwirken. Ansonsten endet der Klimaschutz an der Wahlurne. Da kann ein gefährliches Gefühl von Ungerechtigkeit entstehen, wie Katharina Gangl, Leiterin der Forschungsgruppe Verhaltensökonomie am Institut für Höhere Studien (IHS), erklärt. Der befürchtete ökonomische Rückschritt orientiere sich an unserem gängigen Verständnis von Wohlstand und Status. Wenn nun alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen Verzicht üben müssen, kann das für jene ungerecht erscheinen, deren Klimafußabdruck bislang vergleichsweise klein war, weil sie nicht zu den Vermögenden zählten. Nun werde diesen verwehrt, ein erstrebenswertes Statusniveau zu erreichen. „Wir müssen“, so Gangl, „eine Lösung für die Frage finden, wie wir eine andere Form von Luxus propagieren können.“ Eine Form von Wohlstand, die unabhängig von der Ruinierung unseres Planeten ist. „Wir strampeln uns ab, um nur nicht zurückzufallen.“ Ulrich Thielemann „Wir müssen eine Lösung für die Frage finden, wie wir eine andere Form von Luxus propagieren können. Katharina Gangl “ „Es gibt Gewinner und Verlierer, das darf man nicht unterschätzen.“ Eric Frey

— 23 — „Es wird ein Ringen geben um Wohlstandskonzepte“, ist auch Werner Kogler, Vizekanzler und Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst & Sport, überzeugt. „Wohlstand, was soll das sein? Der Viertfernseher oder das Fünfttablet oder das Drittauto?“ Für den Vizekanzler wäre es wichtig, den Begriff Wohlstand mehr in Richtung Lebensqualität auszudehnen. Das bestätigt auch Ulrich Thielemann: „Beim Wohlstand geht es im Wesentlichen um den relativen Status und um das Empfinden von Gerechtigkeit. Es ist nicht das, was man so alles kaufen oder nicht kaufen kann, sondern in Relation zu anderen zu sehen, die ungefähr gleich viel leisten“, meint Ulrich Thielemann. „Wenn Nachbar X einen SUV hat, warum soll ich dann darauf verzichten?“ Für Monika Köppl-Turyna, Direktorin des EcoAustria Instituts für Wirtschaftsforschung, ist Wohlstand „eine Funktion, die sehr viele Präferenzen zusammenführt“. Diese Präferenzen können ökonomischer oder kultureller Natur sein. Für andere Menschen wiederum steht das Thema des Umweltschutzes an erster Stelle. Diese unterschiedlichen Vorstellungen gilt es im Sinne eines politischen Kompromisses in Einklang zu bringen. Dass das nicht leicht ist, davon kann Werner Kogler ein Lied singen: „Da kann man trefflich streiten. Was ist denn der richtige, in dem Fall ökonomische, von mir aus soziale Instrumentenkoffer, um ökologische Anliegen unter einen Hut zu bringen?“ Er vertritt die Ansicht, dass in einer Demokratie alle Seiten ihre Vorstellungen formulieren können müssen, „dass sich diese teilweise deutlich voneinander unterscheiden, wissen wir nicht zuletzt durch die Ergebnisse der EU-Wahl. Demokratie heißt eben auch, dass man mit allen Strömungen des politischen Spektrums umgehen muss, egal wie konträr sich diese dem eigenen Weltbild gegenüber verhalten“, meint Kogler. Gefangen im Dilemma? Auf die Frage, warum es so schwierig ist, einen Teil der Menschen für Nachhaltigkeit und umweltfreundliches Verhalten zu begeistern, hat Eric Frey die folgende Erklärung parat: „Klimaschutz ist, wie man das so nennt in der politischen Ökonomie, ein Problem des kollektiven Handelns: ein Gefangenendilemma. Das größte Gefangenendilemma der Welt. Was

— 24 — Hohe Kosten für fehlende Maßnahmen beim Klimaschutz Laut Berechnungen des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) stellt sich nicht die Frage, ob Klimaschutz unseren Wohlstand gefährdet. Im Gegenteil: Nichthandeln würde diesen aushöhlen. Demnach liegen die Kosten für fehlendes Handeln beim Thema Klimaschutz in Österreich bereits jetzt bei 5,4 bis 7 Milliarden Euro pro Jahr. Die noch nicht abschätzbaren Folgen der Klimakrise werden sich laut WIFO negativ auf Wachstum und Steuereinnahmen auswirken. Die Kosten für Anpassungen an den Klimawandel belaufen sich seit 2014 auf gut eine Milliarde Euro pro Jahr. Schätzungsweise werden diese bis 2030 auf mehr als 1,7 Milliarden Euro pro Jahr und bis 2050 auf mehr als 2 Milliarden Euro pro Jahr steigen. Außerdem zu beachten sind Kosten durch Schäden, die durch den Klimawandel bedingt sind, wie etwa aufgrund von extremen Wetterereignissen. Bis 2030 könnten die Kosten für die Beseitigung hier 2,5 bis 5,2 Milliarden Euro erreichen. Werden die Klimaziele nicht erfüllt, müsste die Republik Österreich zudem Emissionszertifikate ankaufen. Hier rechnet das WIFO im Zeitraum von 2021 bis 2030 mit Ausgaben von bis zu 4,7 Milliarden Euro. Ein Nicht-Handeln beim Thema Klimaschutz kann sich Österreich laut WIFO nicht leisten. Die hohen Ausgaben würden in Zukunft an anderer Stelle – etwa im Gesundheitsbereich – fehlen. INFO

— 25 — bedeutet das? Der Beitrag, den ich einzeln zum Klimaschutz leiste, trägt praktisch nichts dazu bei, um den Klimawandel aufzuhalten.“ Man solle sich einschränken und auf bisher gewohnte Dinge wie Flugreisen verzichten, obwohl der persönliche Beitrag nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein ist. Das lässt sich nur schwer vermitteln. Der Anreiz, Trittbrettfahrer zu sein bzw. andere machen zu lassen, ist sehr hoch. Das gilt sowohl für die individuelle wie die internationale Ebene. Um das Kollektiv zum Handeln zu bewegen und den „First Mover Disadvantage“ auszuschließen, braucht es positive Anreize. „Fürchtet euch nicht!“, wäre für Werner Kogler die richtige Botschaft. Klimaschutz müsse als große Chance für Innovation und die Wirtschaft begriffen werden. „Darauf würde ich das Augenmerk legen: Dass wir am Schluss auch was gewinnen können. Sonst wird es kommunikativ schwierig werden.“ Klimaschutz und Wohlstand sind dementsprechend kein Widerspruch, sondern gehören zusammen. Dass die notwendige Basis dafür durchaus vorhanden ist, bestätigt eine aktuelle Studie der Wirtschaftskammer Österreich, wie Gabriele Faber-Wiener erklärt: „Da haben 80 Prozent der Befragten gesagt, sie sehen Nachhaltigkeit als Chance, nämlich sowohl für uns als Gesellschaft, als auch für österreichische Unternehmen.“ Was allerdings zusätzlich erforderlich wäre, ist laut Katharina Gangl ein Mindestvertrauen in die Problemlösungskompetenz der Institutionen: „Ein Vertrauen, dass Probleme, die die Menschen im Alltag betreffen, auch gelöst werden.“ Aktuell sehen wir da eher eine Vertrauenskrise als einen Vertrauensvorschuss. Mit Blick auf seit langer Zeit ungelöste Problemfelder wie Pflege, Migration oder Bildung stellen sich viele Menschen die Frage, wie ausgerechnet die Klimakrise bewältigt werden soll. Gangl empfiehlt eine empirische Herangehensweise, bei der potenzielle Lösungen systematisch getestet werden. Was nicht funktioniert, wird ausgeschieden, und mit dem, was wirklich klappt, kann man weiterarbeiten. „Nur gut gemeint ist nicht gut gemacht. Ich habe oft erlebt, dass tolle Ideen genau das Gegenteil bewirkt haben, weil wir am Ende des Tages die Komplexität der Realität nicht vorhersehen können“, erklärt Katharina Gangl. → „Darauf würde ich das Augenmerk legen: Dass wir am Schluss auch was gewinnen können. Werner Kogler “

— 26 — „Es wird dann funktionieren, wenn es der Einzelne spürt.“ Monika Köppl-Turyna Der grüne Business Case „Es wird dann funktionieren, wenn es der Einzelne spürt, zum Beispiel über eine CO2-Bepreisung“, ergänzt Köppl-Turyna. Als Beleg führt sie an, dass niemals so viele Photovoltaik-Anlagen errichtet wurden wie in den letzten zwei Jahren, als die Energiepreise sehr hoch waren. Es lohnt sich nun, in die nachhaltige Energieversorgung zu investieren. Europa hat, so Köppl-Turyna, die Möglichkeit, über seine Grenzen hinaus klimapolitisch zu wirken. Etwa über die eingesetzten Instrumente und Regularien. Ein Beispiel ist der Grenzzoll auf CO2-Emissionen. Diese werden für importierte Produkte für im Ausland entstandene Emissionen in Rechnung gestellt. Als Vorreiter muss Europa aber auch beweisen, dass die Transformation in eine klimaneutrale Gesellschaft ohne Wohlstandsverlust machbar ist. „Sonst wird uns keiner folgen.“ Man spricht in diesem Zusammenhang vom sogenannten „Brüssel-Effekt“: Damit ist gemeint, dass Europa auf andere Märkte Einfluss nehmen kann. „Das wird aber nur funktionieren, wenn Europa als Markt attraktiv ist“, so Köppl-Turyna. Man solle sich daher die Vorreiterrolle nicht um jeden Preis sichern, weil das zu ökonomischen Kollateralschäden führen kann. „Wir können nicht allzu viel opfern von der Wirtschaft, weil sonst sind wir irgendwann so ein irrelevanter Markt auf der Weltbühne, dass wir eigentlich keinem mehr etwas exportieren oder vorschreiben können.“ Und damit wäre der Wohlstand dann in der Tat in Gefahr. Wichtig wäre, dass der Klimaschutz einen ökonomischen „Eigennutz“, eine Win-Win-Situation schafft. Damit könne der notwendige Anreiz geschaffen werden. Thielemann bezweifelt, dass es einen solchen Business Case gebe. Es handele sich im Gegenteil und in der Tat um das größte Gefangenendilemma der Menschheitsgeschichte. Das Pariser Klimaschutzabkommen habe daraus grundsätzlich einen Ausweg gewiesen. „Wir, die Länder dieser Welt, verpflichten uns alle dazu, und zwar in völkerrechtlich verbindlicher Weise, die Emissionen zu reduzieren, selbst wenn damit kein Business Case verbunden ist und auch dann, wenn das andere nicht tun.“ Die Rede vom Business Case laufe eher darauf hinaus, dass man Klimaschutz nur soweit betreibe, als es sich auszahle und die internationale Wettbewerbsfähigkeit stärke. Gemäß Thielemann müsse der Westen angesichts seiner historischen Verantwortung seine Emissionen dramatisch senken. Die

— 27 — Was ist das „Gefangenendilemma“? Das Gefangenendilemma ist eines der zentralen Elemente in der Spieltheorie – eine mathematische Theorie, die Entscheidungssituationen mit mehreren Beteiligten modelliert. In der Ausgangslage müssen sich zwei Akteure unabhängig voneinander für eine von zwei vorgegebenen Handlungsvarianten entscheiden, wobei einander zu vertrauen und zu kooperieren die bestmögliche Lösung für alle nach sich zieht. Ursprünglich wurden die beiden Parteien mit Gefangenen verglichen, die getrennt zu einer Tat befragt werden, woraus sich auch der Name ableitet. Das Strafmaß hängt stark vom jeweils anderen ab, weshalb jede Entscheidung ein Risiko birgt. Wenn beispielsweise beide schweigen, kommen sie mit einer geringen Strafe davon. Sagt nur einer gegen den anderen aus, profitiert er von der Kronzeugenregelung, wohingegen der Beschuldigte härter bestraft wird. Herrscht auf beiden Seiten Misstrauen, sodass sie gegeneinander aussagen, werden beide gleichermaßen hart verurteilt. Die optimale Lösung wäre demnach gegenseitiges Vertrauen in das kooperative Verhalten des anderen, damit am Ende beide profitieren. INFO Bevölkerung möchte in der weit überwiegenden Mehrheit auch mehr Klimaschutz, wie zahlreiche Umfragen belegten. „Aber dabei soll es gerecht zugehen.“ Der klimapolitische Backlash könnte sich daraus erklären, dass die Leute den Eindruck hätten, durch Klimapolitik noch weiter unter Druck zu geraten, wohingegen diejenigen, die keinem Druck ausgesetzt sind, kaum belastet oder noch weiter entlastet würden. Ein Ausweg könnte in einer Rückkehr zu progressiveren Besteuerungsmodellen bestehen. →

— 28 — Wo man allerdings schon das Gute mit dem ökonomisch Sinnvollen verknüpfen möchte, ist der Bereich „Green Finance“: die Umschichtung und Veranlagung von Kapital in klimapolitisch unbedenklichen oder sogar förderlichen Assets. Für Katharina Gangl ist es eine „sehr gute Lösung“, Kapital in klimaschonende Veranlagungen zu lenken. Das ist möglich, ohne Einschnitte beim Lebensstandard akzeptieren zu müssen. „Ein massiver Hebel, den man da bewegen kann. Und je mehr die Menschen darüber wissen, desto attraktiver wird der Aktienmarkt für sich genommen“, erklärt Gangl. „Es gibt diesen Mythos, dass man mit nachhaltiger Veranlagung weniger Rendite macht“, ergänzt Andreas Zakostelsky. Dieser wird allerdings von diversen Studien widerlegt und entspricht nicht der Realität. Von der Politik würde er sich mehr zielgerichtete Initiativen erwarten. Etwa eine Incentivierung, dass Kapital für die Altersvorsorge verstärkt ökologisch sinnvoll veranlagt wird. Mit dieser „grünen Pension“ könnte die Branche noch mehr in Richtung Nachhaltigkeit gehen. Eine Initiative der VBV fand politisch bislang nicht den gewünschten Effekt. Für Zakostelsky fehlt zum Teil die notwendige Weitsicht. „Und da hat man dann schon ein bisschen das Gefühl, dass die Parteien doch extrem verfangen sind in ihrer Tagespolitik und es kaum gelingt, Themen, die über die Legislaturperiode hinausgehen und für die nächsten Jahre und Jahrzehnte spannend sind, zu platzieren.“ Keine Gefahr für den Wohlstand – im Gegenteil Damit nicht weiter Geld in alte Technologien gepumpt wird, ist es für Katharina Gangl notwendig, dass sich die „Wirtschaft der Zukunft“ besser vernetzt, da diese bislang keine echte Lobby hat. „Das ist ein großes Problem. Dadurch können sie im Gegensatz zu etablierten Lobby-Organisationen, die beispielsweise aus der Öl- oder Autoindustrie kommen, ihre wirtschaftlichen Interessen nicht durchsetzen.“ Im Ergebnis wird weiterhin stark in alte Industrien und Ideen investiert und es besteht die Gefahr, zurückzufallen. „Die moderne Wirtschaft muss lernen, Machtstrukturen aufzubauen“, so Gangl. Der Lobbyismus bestehender Pressure-Groups ist aus ihrer Sicht der stärkste Grund, weshalb in Sachen Klimaschutz nicht mehr passiert. „Es gibt diesen Mythos, dass man mit nachhaltiger Veranlagung weniger Rendite macht.“ Andreas Zakostelsky

— 29 — Für Eric Frey ist die Frage, ob Nachhaltigkeit eine Gefahr für den Wohlstand darstellt, ganz eindeutig beantwortbar: „Die Nachhaltigkeitsrevolution, vor der wir stehen, wird unseren Wohlstand gewaltig steigern.“ Neue Technologien werden alte, ineffiziente ersetzen. Das wird für Wachstum und mehr Lebensqualität sorgen. „Zu glauben, dass man durch ein Festhalten an fossiler Energie die Wettbewerbsfähigkeit halten kann, ist ein Irrweg.“ Aber, so betont Frey, es wird notwendig sein, auch die „Verlierer“ der Transformation mitzunehmen, um nicht die Unzufriedenheit der Menschen weiter zu fördern und diese sich immer weiter in den Netzen der Rechtspopulisten verfangen. „Ich glaube, das Wichtige ist hier, dass man lieber bei den Zielen ein wenig zurückschraubt, auch wenn das aus Sicht des Klimaschutzes eine schwere Niederlage ist, aber wir müssen vermeiden, dass der Nationalismus wieder zunimmt.“ „Man wird sich schon um eine Perspektive kümmern müssen, wo man auch Chancen und Vorteile sieht“, betont Werner Kogler. Er spricht sich für Positivbeispiele aus, um die Bevölkerung abzuholen und sie nicht durch Horrorszenarien zu verschrecken. Das Aufzeigen von Chancen und ein Herantreten an jeden und jede Einzelne sieht auch Andreas Zakostelsky als Erfolgsmodell für eine gelungene Klimapolitik: „Ähnlich wie es bei der Euro-Einführung der Fall war, wo man auf die Bevölkerung zugegangen ist.“ Mit den Leuten reden anstatt über sie. Das macht einerseits Mut für die Zukunft und verschreckt die Menschen andererseits nicht in Richtung einfacher populistischer Lösungen. In diesem Sinne ist es laut Kogler wichtig, dass sich „die konstruktiven Kräfte einhaken“ und gemeinsam vorangehen. Damit klar wird, dass Klimapolitik nicht die Apokalypse ist, sondern eine ganz große Chance für uns alle. 

— 30 — NACHHALTIGKEIT – MYTHEN & VORURTEILE AUF DEM PRÜFSTAND Bremst Nachhaltigkeit die Wirtschaft?

— 31 — • Schwächt die Verpflichtung zu Nachhaltigkeit die Wirtschaft, oder ist das Gegenteil der Fall, also mehr Gewinn durch Nachhaltigkeit? • Schafft Europa eine bessere Wirtschaft? Oder geht es mit der europäischen Wirtschaft bergab? • Können sich Unternehmen die nötigen Investitionen leisten? Oder müssen sie sich diese Investitionen sogar leisten, um künftig besser zu wirtschaften? • Wie kann man dem politisch bedingten Backlash gegen Nachhaltigkeit gegensteuern? Worauf kommt es dabei an? VBV im Diskurs – 1. Oktober 2024

— 32 — Mag.a Cornelia Daniel CEO, Geschäftsführerin TausendundeinDach, Österreicherin des Jahres 2020 Cornelia Daniel ist eine österreichische Solarunternehmerin und Expertin im Bereich Photovoltaik. Als Autorin von mehr als 400 Artikeln und nach Gesprächen mit mehr als 1000 Unternehmerinnen und Unternehmern gilt sie im deutschsprachigen Raum als eine der bekanntesten Expertinnen für Photovoltaik. ZU GAST: Hartwig Löger CEO, Vienna Insurance Group Hartwig Löger ist Generaldirektor und Vorstandsvorsitzender der größten Versicherungsgruppe in Zentral- und Osteuropa. Seit 1985 in der Versicherungsbranche tätig, verfügt er über eine jahrzehntelange Erfahrung in diesem Bereich. Kilian Kaminski Co-Founder refurbed Kilian Kaminski ist einer der drei Gründer von refurbed. Vor der Gründung war Kaminski Leiter des Amazon Certified Refurbished Program und New Key Account Manager für die größten Elektronikhändler bei Amazon Deutschland.

— 33 — VBV IM DISKURS Mag. Patricia Neumann CEO, Siemens Österreich Patricia Neumann ist seit Mai 2023 Vorstandsvorsitzende der Siemens AG Österreich. Sie kam von IBM zu Siemens, wo sie seit 1995 in unterschiedlichen Positionen tätig war. Katharina Rogenhofer, MSc Vorständin und Sprecherin, KONTEXT Institut für Klimafragen Katharina Rogenhofer studierte Zoologie in Wien und „Biodiversity, Conservation and Management“ an der Universität Oxford. Danach arbeitete sie bei der Klimarahmenkonvention der UN, startete 2018 FridaysForFuture in Wien und war ab 2019 Sprecherin des Klimavolksbegehrens.

— 34 — Bremst Nachhaltigkeit die Wirtschaft?

— 35 — Nachhaltigkeit: Bremse oder Motor der Wirtschaft? Wie jede Münze zwei Seiten hat, kann auch ein Glas entweder halb voll oder halb leer sein. Welche Sichtweise oder welchen Standpunkt man eher unterstützt, ist häufig eine Frage des individuellen Mindsets. Bei der Frage, ob Nachhaltigkeit für die Wirtschaft ein Turbo oder doch eher ein Klotz am Bein ist, verhält es sich nicht anders. Während die einen durch die Umsetzung des Green Deal eine vollständige Deindustrialisierung für Europa fürchten, schwärmen andere von der Chance, durch Innovation und Zukunftstechnologie zum Weltmarktführer in ganz neuen Branchen und Geschäftsmodellen zu werden. Fünf hochkarätige Expertinnen und Experten behandelten dieses Spannungsfeld bei der 24. Ausgabe der Gesprächsreihe „VBV im Diskurs“. Gemeinsam mit Gastgeber Andreas Zakostelsky, Generaldirektor der VBV-Gruppe und Moderatorin Gabriele Faber-Wiener, Leiterin des Center for Responsible Management, wurde über die Notwendigkeit gesamthaft zu denken, über Kreislaufwirtschaft, Regulatorik und vieles mehr diskutiert. Die Frage, ob Nachhaltigkeit die Wirtschaft bremst oder entfesselt, ist aktueller denn je, wie Gabriele Faber-Wiener einleitend festhält. „Denn auf der einen Seite fällt uns unsere nicht-nachhaltige Lebensweise immer mehr auf den Kopf bzw. ins Wasser, wie wir jetzt anhand der großen Überschwemmungen wieder gesehen haben. Auf der anderen Seite sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen aktuell aber alles andere als rosig.“ Die Schwierigkeiten der Politik mit komplexen Themen In dieser Situation ist es ein Leichtes, Wirtschaft bzw. Wohlstand gegen Nachhaltigkeit auszuspielen. Das wird von Teilen der Politik auch explizit so gemacht. Katharina Rogenhofer, Vorständin und Sprecherin des KONTEXT Institut für Klimafragen, findet die Argumentation manchmal eigenwillig: „Die FPÖ nennt den Green Deal in ihrem Wahlprogramm ‚wohlstandszersetzend‘“. Es würde viel mit Ängsten gearbeitet und vor einem Abwandern der Industrie gewarnt. Rogenhofer bezeichnet das als „Blödsinn“. Sie glaubt fest daran: „Wenn Europa in Zukunft global irgend-

— 36 — „Wenn Europa in Zukunft global irgendeine Rolle spielen will, müssen wir auf Nachhaltigkeit und auf Umwelt setzen.“ Katharina Rogenhofer eine Rolle spielen will, müssen wir auf Nachhaltigkeit und auf Umwelt setzen.“ Für Hartwig Löger, CEO der Vienna Insurance Group und selbst einst Finanzminister, ist es keine Überraschung, dass sich die Politik mit der Nachhaltigkeit schwertut: „Es ist politisch einfach schwierig, sich dazu zu bekennen und auch konkrete Schritte zu setzen.“ Die Problematik liegt dabei in der Komplexität der Materie und der Tatsache, dass Maßnahmen oft mit negativen Auswirkungen auf die individuelle Lebenssituation verbunden werden. „Ich glaube, da müssen wir aus der Wirtschaft alle gemeinsam dagegenhalten, weil wir die Chance haben, das positiv zu verknüpfen.“ Weil das Thema zum einen nicht so unmittelbar greifbar wie beispielweise die Inflation, und zum anderen komplex ist, wird es auch in der Berichterstattung und öffentlichen Wahrnehmung gewissermaßen zu einem Stiefkind. „Ich glaube, es sind nicht nur die politischen Parteien, die sich zu wenig um die Nachhaltigkeit gekümmert haben. Die Medien haben es auch in den Wahlkampf nicht sehr stark hereingetragen, nicht nachgefragt, nicht angezogen“, betont Andreas Zakostelsky. Mangelnde Kommunikation und Aufklärung führen dazu, dass es oft am notwendigen Wissen fehlt, hält Cornelia Daniel fest. Sie ist Geschäftsführerin von TausendundeinDach, eine Initiative, die erfolgreich Photovoltaikanlagen für österreichische Betriebe initiiert und errichtet. Es gäbe eine weitverbreitete Annahme, dass Nachhaltigkeit in erster Linie Kosten verursache, was so nicht zutreffend sei. Ihr eigener Geschäftsbereich Photovoltaik bringt nicht nur ökologische, sondern auch wirtschaftliche Vorteile, die jedoch der nötigen Kommunikation bedürfen. Obwohl Photovoltaik seit Jahren eine der günstigsten Energiequellen der Welt ist, denken viele Menschen immer noch, sie verursache nur Kosten ohne Rentabilität. „Man glaubt, das ist teuer, das rechnet sich nicht. Und vor allem vergisst man einen wichtigen Punkt: dass Photovoltaik eine absolute Friedenstechnologie ist.“ Umweltfreundliche Energiequellen bringen Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen und von Diktaturen, die sie als Druckmittel verwenden. Das sichere unseren Frieden. „Ich glaube, es sind nicht nur die politschen Parteien, die sich zu wenig um die Nachhaltigkeit gekümmert haben.“ Andreas Zakostelsky

— 37 — „Wir müssen anders über Klimathemen, anders über Nachhaltigkeit reden. Weg von diesem negativen Framing, weg von diesem Entweder-oder“, bestärkt Gabriele Faber-Wiener diese Ansicht. Die Kommunikation über Nachhaltigkeit müsse sich verändern, sie müsse das Positive und die Chancen herausstreichen und nicht nur die punktuellen Verbote oder Einschränkungen. Dass es in diesem Kontext wichtig ist, den Blick zu weiten und gesamthaft zu denken, erklärt auch Katharina Rogenhofer. Das Thema „Klima“ wird für sie viel zu eindimensional betrachtet, es wird zu sehr in Schubladen gedacht. „Wenn mir Klima wichtig ist, dann bin ich ein ‚Öko‘ und ein ‚Baum-Umarmer‘. Aber dass die Teuerung zum Beispiel durch unsere empfindliche Abhängigkeit von fossilen und klimaschädigenden Brennstoffen aus Russland angekurbelt wurde, diese Verbindung wird oft nicht gemacht. Auch der Zusammenhang der steigenden Emissionen und den Hochwassern wird nicht mitgedacht, das greift viel zu kurz, die Welt ist einfach komplexer.“ Nachhaltigkeit habe daher nicht nur mit Klima und Umwelt zu tun, sondern auch mit wirtschaftlicher Resilienz, mit Inflation und mit Sicherheit. Einen wichtigen Ansatzpunkt zur Erläuterung dieser Zusammenhänge sieht Patricia Neumann, CEO Siemens Österreich, im Bereich der Bildung. Man müsse anfangen, umzudenken und die nächsten Generationen hinsichtlich nachhaltiger Entwicklung bilden. „Mir ist sehr wohl bewusst, dass wir nicht das Bildungssystem von heute auf morgen, geschweige denn in einer Legislaturperiode, verändern können. Aber wenn wir nicht anfangen, im Kleinen eine Änderung herbeizuführen, dann habe ich auch in der nächsten Generation nicht das Verständnis, das ich brauche.“ Regulatorik als europäische Spezialität Als negativer Aspekt für die Wirtschaft wird häufig die zunehmende Regulatorik im Bereich Nachhaltigkeit und die damit verbundene überbordende Bürokratie ins Treffen geführt. Für Hartwig Löger setzt Europa oft zu stark auf Regulierung. Er untermalt dies mit einem Zitat, das ihm im Rahmen seiner politischen Laufbahn im Kopf geblieben ist: „Amerika innoviert, Asien produziert, Europa reguliert.“ „Wenn wir nicht anfangen, im Kleinen eine Änderung herbeizuführen, dann habe ich auch in der nächsten Generation nicht das Verständnis, das ich brauche. Patricia Neumann “

— 38 — Business Allianz Klima – Unternehmen als Motor des Klimaschutzes Als Initiative des Vereins Klimavolksbegehren ins Leben gerufen, vereint die „Business Allianz Klima“ 21 namhafte Unternehmen, die sich für ambitionierte Klimaziele aussprechen. Um der drohenden Kostenflut, die sich aufgrund der Folgen des Klimawandels ergibt, vorzubeugen, fordern die Beteiligten weniger Zögern und mehr Handeln. Nachhaltige Wirtschaft heißt das Ziel, und dafür werden Rahmenbedingungen benötigt und auch eingefordert: • ein effektives Klimaschutzgesetz mit klaren und verbindlichen Zielen • wirksame Maßnahmen zur Einhaltung geltender EU-Richtlinien • deutliche Erhöhung der Fördermittel und Ausweitung steuerlicher Anreize Die erforderlichen Gesetze und Regularien sollen pragmatisch umsetzbar sein und zugleich in enger Verbindung mit den Klimazielen stehen. Um nicht an den Unternehmen „vorbeizuplanen“ und unnötige Bürokratie abzubauen, sollen die Stakeholder in den Prozess der Gesetzgebung eingebunden sein. Die Initiative fordert von der Politik werden klare Rahmenbedingungen, um es den Unternehmen zu ermöglichen, zukunftsfähig zu wirtschaften. Alle Forderungen sind dabei immer auf Langfristigkeit ausgelegt und pochen auf einen intensiven Dialog zwischen allen Akteuren: Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. INFO

— 39 — Wer ist schon Teil der Business Allianz Klima? (Quelle: Verein Klimavolksbegehren) Hier geht’s zur Business Allianz Klima: Andreas Zakostelsky schlägt in dieselbe Kerbe: „Man muss als Regulator darauf aufpassen, dass man nicht im wahrsten Sinne des Wortes das Kind mit dem Bade ausschüttet und genau das Gegenteil, nämlich Abwehrhaltung, erreicht.“ Damit würde die Politik die Unternehmen durch zu viele Vorschriften ausbremsen und einen gegenteiligen Effekt erzeugen. Betriebe müssen die Chancen, die in der Nachhaltigkeit liegen, erkennen und nutzen, während die Politik den Rahmen setzt, der diesen Wandel ermöglicht, ohne ihn durch übermäßige Bürokratie zu erschweren. Veränderungen bringen Aufwände mit sich, und das zeigt sich unter anderem in Berichtspflichten, die jedoch, zumindest in einem gesunden Maß, notwendig sind, um den Wandel auch gezielt zu gestalten. „Amerika innoviert, Asien produziert, Europa reguliert. Hartwig Löger“

— 40 — Ganz grundsätzlich bräuchte Europa eine schlankere Bürokratie, meint auch Cornelia Daniel: „Ich bin ja viel in Unternehmen und das ist wirklich das, was hemmt. Hier braucht es eine Vereinfachung für Dinge, die nachhaltig sind. Es gibt sowohl gute als auch schlechte Regulatorien. Man müsste mal aufräumen und die gute Regulatorik von der schlechten trennen.“ Die Erkenntnis, dass ein Zuviel an Vorschriften existiert, besteht für Patricia Neumann von Siemens seit vielen Jahren. Dennoch werden daraus nicht die notwendigen Aktivitäten abgeleitet. „Ich habe es noch nicht erlebt, dass es weniger geworden wäre.“ Stattdessen kommen immer neue Regularien hinzu. „Warum wir uns hier selbst im Wege stehen, ist für mich eines der größten Rätsel, denn es kostet eigentlich wenig Geld, die Dinge zu reduzieren. Es kostet aber Einigkeit.“ Und diese Einigkeit herzustellen und die Partikularinteressen hintanzustellen, scheint die größte Herausforderung für Europa zu sein. Katharina Rogenhofer fordert in diesem Kontext mehr Differenzierung. Es würde nicht reichen zu sagen „Regulatorik ist schlecht, denn es gibt sehr viele Gesetze und Regeln, die extrem wichtig sind.“ Freiwilligkeit reiche zumeist nicht aus. Es brauche Rahmenbedingungen und auch Verbote seien in bestimmten Bereichen notwendig. „Weil wir eine gewisse Menge an Emissionen eben reduzieren müssen. Auf der anderen Seite müssen wir es Individuen und Unternehmen leichter machen, diese Regeln auch einzuhalten.“ Dem stimmt auch Gabriele Faber-Wiener zu: „Regularien brauchen wir ja unter anderem, weil es die letzten 20 Jahre auf freiwilliger Basis nicht funktioniert hat. Das dürfen wir nicht vergessen.“ Auch Hartwig Löger sieht ebenso die Notwendigkeit, zentrale Themenstellungen durch Regularien zu organisieren. Allerdings gibt es viele Negativbeispiele, wo Sinn und Maß nicht mehr erkennbar seien. Er erläutert das anhand der European Sustainability Reporting Standards (ESRS), die Details der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen in der EU regelt. „Das ist ein Reporting, wo 1.000 Datensätze gefordert werden. Das ist absurd und völlig überzogen. “ Die Frage, ob es sinnvoll ist, diese Masse an Informationen zu erheben und zu berichten, konnte ihm noch niemand beantworten. „Man gibt auch hinter vorgehaltener Hand zu, dass keine Agentur in Europa imstande ist, diese Reportings laufend zu kontrollieren.“ Na- „Es gibt sowohl gute als auch schlechte Regulatorien. Man müsste mal aufräumen und die gute Regulatorik von der schlechten trennen.“ Cornelia Daniel

— 41 — türlich, so Löger, braucht es Regeln und klare Vorgaben, aber die Fülle der Aufgaben und Daten käme mittlerweile einer „Strangulierung“ gleich. Und das würde zu dieser Ablehnung von Regulatorik führen. Im Sinne der Zielsetzungen wäre es wichtig, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. „Was ich verhindern möchte, ist, dass Unternehmen versuchen, sich hinter diesen 1.000 Datenpunkten zu verstecken, weil sie gar nicht von sich aus die Überzeugung haben, einen positiven Entwicklungspfad zu beschreiten.“ Dieser ist allerdings notwendig, um das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein, nicht aus den Augen zu verlieren. „Je früher jedes Unternehmen diese Schritte umsetzt, umso kleiner sind die Kosten“, betont Kilian Kaminski, Mitbegründer von refurbed, einem Marktplatz für aufbereitete Elektrogeräte. Transformation und die damit einhergehende Regulatorik verursachen Aufwände. „Ich bin persönlich davon überzeugt, dass sich jedes Unternehmen diese Investitionen leisten und den Wandel machen muss. Irgendwann werden ansonsten jene Unternehmen nicht mehr existieren, die sich nicht auf diesen Weg der Nachhaltigkeit begeben.“ Klar ist für ihn, dass die Kosten des Nichtstuns und des Klimawandels viel höher sind als jene der Transformation. Daher ist Nachhaltigkeit für Kaminski kein Kostenfaktor, sondern ein Wettbewerbsvorteil, der Handeln erfordert. „Es ist für mich nur noch eine Frage der Zeit, bis wir uns diese traditionelle, lineare und nicht nachhaltige Wirtschaft einfach nicht mehr leisten können, weil die Kosten dafür unbezahlbar sein werden.“ Die große Chance Die Wirtschaft hat laut Andreas Zakostelsky zu großen Teilen bereits erkannt, dass die Umstellung auf Nachhaltigkeit abseits der Transformationskosten auch enorme Chancen birgt. Hier gäbe es durchaus positive Initiativen, wie etwa die Business Allianz Klima, in der 21 Leitbetriebe Österreichs vertreten sind. „Unilever ist dabei, Lidl, SAP und natürlich auch die VBV-Gruppe.“ Die laufenden und bevorstehenden Veränderungen werden Innovationen und neue Geschäftsmodelle hervorbringen, und diese werden ein Treiber des technologischen Fortschritts sein. „In jeder Transformation hat es Chancen gegeben“, erklärt Patricia Neumann. Es sei ganz wichtig, dieses Thema zu besetzen und sich nicht von negativen Assoziationen zu Transformationskosten und überbordender

— 42 — Regulierung treiben zu lassen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Unternehmen von Kilian Kaminiski, das sich im wachsenden Segment der Kreislaufwirtschaft positioniert hat. Seine Überlegungen dazu fasst er folgendermaßen zusammen: „Wenn wir produzieren, müssen wir überlegen, wie wir das machen können, ohne unsere Lebensgrundlage zu zerstören. Wir waren in Europa früher in ganz vielen Bereichen wirtschaftlich die Vorreiter. Mittlerweile muss man ganz ehrlich sagen, dass wir es nicht mehr sind, und zwar in fast keinem Bereich.“ Betrachtet man zum Beispiel China, so wird man nicht mit den dortigen Produktionskosten konkurrieren können. Die USA wiederum haben deutlich mehr Zugang zu Kapital. Unter diesen Rahmenbedingungen muss man sich überlegen, in welchen Bereichen Europa führend sein könnte. „Ich bin davon überzeugt“, so Kaminiski, „dass unsere größte Chance in Europa eine Vorreiterrolle im Bereich von Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und dementsprechend auch der Klimapolitik ist.“ Gefragt ist seiner Meinung nach eine intelligente Nachhaltigkeitspolitik, damit durch innovative Technologien Europa wieder zum Exportschlager werden kann. „Wir können zum Beispiel in der Solarmodulproduktion gegen China nicht konkurrieren. Aber wir könnten weltweit führend in der Wiederverwertung von Solarmodulen werden“, meint auch Cornelia Daniel. Für Patricia Neumann ist der technologische Fortschritt der wesentliche Treiber für nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, sie spricht sich ebenfalls für eine Fokussierung auf das Positive aus: „Technologie ist ein ganz großer Hebel für Nachhaltigkeit. Wofür man sie einsetzt, das ist die Entscheidung von uns als Unternehmen beziehungsweise von unseren Kunden. Aber es ist ein enormer Hebel, den ich positiv besetzen kann.“ Was mit Europa passieren könnte, wenn nicht gehandelt wird, skizziert Katharina Rogenhofer deutlich: „Wenn wir die Wirtschaft nicht ökologisieren, dann werden wir vielleicht zum Ramschladen der Welt, der weiter die alten Technologien produziert.“ Um eine zukunftsfähige Wirtschaft zu schaffen, müssten jetzt die Segel gesetzt werden. Dabei sei es wichtig, dass Nachhaltigkeit in der Unternehmenssteuerung und im Management nicht nur schmuckes Beiwerk ist, sondern als strategische Richtschnur dient. „Ich bin davon überzeugt, dass unsere größte Chance in Europa eine Vorreiterrolle im Bereich von Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft und dementsprechend auch der Klimapolitik ist.“ Kilian Kaminski

— 43 — Wichtig, so Hartwig Löger, sei die Erkenntnis, dass Unternehmen unterschiedlich weite Wege gehen müssen, um das finale Ziel des nachhaltigen Wirtschaftens zu erreichen. Man müsse diese letztlich dort abholen, wo sie sich derzeit befinden, ganz egal, ob es sich um einen Betrieb der grünen Energieerzeugung oder ein Zementwerk handelt. „Reines Bashing auf jene Unternehmen oder Industrien, die eben aus ihrer Tradition heraus eine schlechte Ausgangssituation haben, darf es nicht geben. Es braucht eine schnelle, dynamische Transformation, aber letztendlich müssen alle mitgenommen werden, es muss allen eine positive Zielsetzung geboten werden.“ Halb leer oder halb voll? Wie sieht es nun aus, das Chancen-Risiko-Profil der nachhaltigen Transformation unserer Wirtschaft? Ist sie mehr Bremse oder doch ein Gaspedal? Andreas Zakostelsky sieht da ganz klar ein Übergewicht der Chancen: „Wir müssen das Bewusstsein schaffen, dass Nicht-Klimaschutz viel mehr kosten wird, als aktiv in die Veränderung zu investieren.“ Da hat es auch keinen Sinn, den Bewertungshorizont zu kurzfristig zu wählen bzw. auf schnelle Erfolge zu schielen. „Es mag schon sein, dass es auch heute noch einen kurzen Zeitraum gibt, wo zum Beispiel die Investition in Ölbetriebe oder dergleichen Geld bringen würde. Aber es ist offensichtlich, dass das mittel- bis langfristig eben nicht mehr so sein wird.“ Fazit: Nachhaltigkeit ist kein Widerspruch zu wirtschaftlichem Erfolg. Sie ist vielmehr der Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit. Jene, die frühzeitig und tatkräftig auf nachhaltige Geschäftsmodelle setzen, werden auch wirtschaftlich profitieren. „Die Klimakrise kostet uns tatsächlich was“, so Katharina Rogenhofer. Da geht es um Menschenleben, um Eigenheime, um ganze Existenzen. Diese Dinge werden nicht verschwinden, wenn man die notwendige Transformation der Wirtschaft negiert oder aufhalten möchte – ganz im Gegenteil. Jetzt geht es darum, nicht ängstlich oder zögerlich, sondern mutig zu sein – Chancen zu erkennen und am Schopf zu packen. „Denn“, so Katharina Rogenhofer abschließend, „die Herausforderungen sind groß, aber die Chancen noch größer.“ 

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