VBV im Diskurs #4 - 2022

VBV IM DISKURS Band 4 Herausgeber: Andreas Zakostelsky, Gabriele Faber-Wiener Vom REDEN ins TUN

VBV IM DISKURS Band 4 Vom REDEN ins TUN

— 5 — „Wir tragen als Vordenker und Unternehmen mit Verantwortung maßgeblich zu Klimaschutz und Lebensqualität in Österreich bei.“ CSR-Strategie der VBV-Gruppe

— 6 — Inhalt

— 7 — Grußworte des Bundespräsidenten Dr. Alexander Van der Bellen 9 Editorial der Herausgeber Andreas Zakostelsky, VBV-Gruppe 11 Gabriele Faber-Wiener, Center for Responsible Management 15 Gespräche Nachhaltig kommunizieren – zwischen Eigenlob und Greenwashing 18 KonsumentInnen – zwischen Macht und Ohnmacht 30 Die Rolle der Politik – Bewahrer oder Vorreiter? 44 VBV – Ihre Vorsorge im grünen Bereich 58 Unsere strategischen Oberziele 59 Impressum 61

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— 9 — Sehr geehrte Damen und Herren, ich gebe zu, ich war auch überrascht: Den Nachhaltigkeitsbegriff gibt es bereits seit 1713. Damals ging es darum, nicht mehr Bäume zu fällen, als nachwachsen können. Mir gefällt, wie konkret diese Definition ist, denn sie enthält vieles, was man wissen muss und ebenso, was man tun muss. Trotzdem ist der Weg zur Umsetzung oft steinig. Welche Schritte sind zu setzen? Wer hilft mit? Wie erreichen wir unsere Ziele im Konsens mit anderen? Bis es zu diesen Umsetzungen kommt, finde ich, ist reden nie verkehrt. Es bringt uns zusammen und es bringt uns weiter. Ich bin daher froh, dass Sie über das Thema Nachhaltigkeit sprechen. Ich wünsche Ihnen viele anregende Gespräche bei „VBV im Diskurs“. Vielleicht erfahren wir so auch vieles, was wir wissen müssen und vieles, was wir tun müssen. Dr. Alexander Van der Bellen Bundespräsident der Republik Österreich Bundespräsident Dr. Alexander Van der Bellen Grußworte des Bundespräsidenten

— 11 — Anzuregen, um vom Reden ins Tun zu kommen. Das Thema Nachhaltigkeit ist in den letzten Jahren zum Modewort geworden. Allgegenwärtig scheint es in Politik, Wirtschaft undMedien zu sein. Aber warum geht dann so wenig weiter? Wir finden, es ist ander Zeit, beimThemaNachhaltigkeit vom Reden endlich ins Tun zu kommen. Daher haben wir dies auch als Motto für „VBV im Diskurs“ im Herbst / Winter 2021 genommen und mit unseren hochkarätigen Diskutantinnen und Diskutanten genau darüber gesprochen. Wir haben gangbare Möglichkeiten eines raschen Umbaus in Richtung Nachhaltigkeit in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft herausgearbeitet – und dazu von zahlreichen prominenten Gästen, wie zum Beispiel dem ehemaligen Bundeskanzler Christian Kern oder der sehr bekannten Journalistin CorinnaMilborn, sehr konstruktive, kritische Beiträge bekommen. Damit wollen wir unsere Zuseherinnen und Zuseher konkret dazu anregen, auch bei der Nachhaltigkeit vom Reden ins Tun zu kommen. Worte des Herrn Bundespräsidenten spornen uns an Apropos Beiträge: ImHerbst 2021 hattenwir die besondere Ehre, sogar von Bundespräsident Alexander Van der Bellen einen Beitrag zu „VBV imDiskurs“ zu bekommen. Sie finden seine Worte auch hier in diesem Buch abgedruckt. Es hat uns alle ganz besonders gefreut, von höchster Stelle in Österreich motivierende Geleitworte zu bekommen und wir danken demHerrn Bundespräsidenten dafür ganz besonders. Die Rolle der Kommunikation, die Aufgabe der KonsumentInnen, die Verantwortung der Politik Inhaltlich haben wir uns für die vierte Runde unserer Online-Diskussionsveranstaltung drei zentrale Gruppen zum Thema Nachhaltigkeit vorge- „Wir haben gangbare Möglichkeiten eines raschen Umbaus in Richtung Nachhaltigkeit in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft heraus- gearbeitet.“ Andreas Zakostelsky Generaldirektor VBV-Gruppe, Vorstandsvorsitzender VBV-Vorsorgekasse

— 12 — nommen. Gleich die erste Veranstaltung behandelte eines der „heißesten“ Themen der Nachhaltigkeit: Wie kann man nachhaltig kommunizieren, ohne gleich in Richtung Greenwashing abzudriften? Die zweite Diskussion beschäftigte sich dann mit der Rolle, den Möglichkeiten und auch Pflichten der KonsumentInnen. Wir haben diese bewusst recht kontroversiell „Zwischen Macht und Ohnmacht“ benannt. benannt. Sehr spannend war auch dieDiskussion, bei der es umdie Rolle der Politik ging: „Bewahrer oder Vorreiter der Nachhaltigkeit“ nannten wir hier den inhaltlichen Aufhänger. Kurz nach der UNO-Klimakonferenz 2021 inGlasgowgab es hier besonders viel zu diskutieren. Sie sehen, es ging uns also darum, erneut mit hochkarätigen und kontroversiellen Diskussionsrunden zentrale Aspekte der Nachhaltigkeit zu diskutieren. Wenn ich mir die teilweise recht hitzigen Diskurse nochmals vor Augen führe, bin ich überzeugt, dass uns dies auch dieses Mal sehr gut gelungen ist. Bereits 13 Diskurs-Veranstaltungen mit 65 Top-Sprecherinnen und Sprechern Als wir die Reihe „VBV im Diskurs“ im Frühjahr 2020 ins Leben gerufen haben, konnten wir den Erfolg und das Interesse der Menschen nur erahnen. Heute, nach bereits 13 Veranstaltungen mit 65 heimischen und internationalen Sprecherinnen und Sprechern, wissen wir, wie wichtig der konstruktive und qualitativ hochwertige Diskurs rund um das Thema Nachhaltigkeit vielen Menschen in Österreich wirklich ist. Sie erwarten von Leitbetrieben wie der VBV, dass sie sich mit diesem Thema auseinandersetzen und beim nachhaltigen Weg vorausgehen. Und genau das machen wir auch! Wir wollen als VBV vordenken und vorleben Denn Reden allein ist uns als VBV-Gruppe schon immer zu wenig gewesen. Unsere Vision ist es, als Vordenker und Unternehmen mit Verantwortung maßgeblich zu Klimaschutz und Lebensqualität in Österreich beizutragen. Deshalb sind wir seit rund 20 Jahren als Vorreiter im Bereich der Nachhaltigkeit aktiv. Wir veranlagen als VBV das uns anvertraute Sozialkapital von mehr als 13Milliarden Euro langfristig ertragreich und bereits zumgrößten Teil nachhaltig. Wir arbeiten daran, den CO2-Fußabdruck unseres Aktien-

— 13 — portfolios weiter zu reduzieren, umeinen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele von Paris zu leisten. So hat die VBV im Vorjahr in der Pensionskasse und Vorsorgekasse den CO2-Fußabdruck ihrer Aktien-Investments um rund 150.000 Tonnen CO2 reduziert. Dies entspricht der Menge an Treibhausgasemissionen, die im Jahr von den EinwohnerInnen einer Stadt wie zum Beispiel Tulln an der Donau verursacht wird. Wir pflegen zudem umfangreiche Partnerschaften mit zahlreichen Nachhaltigkeitsinitiativen. So ist die VBV u.a. Partner der WWF Climate Group, der Ökoregion Kaindorf und von respACT – austrian business council for sustainable development und sie unterstützt das Klimavolksbegehren bzw. dessen weiterführende Anliegen genauso wie die Green Finance Alliance des Klimaschutzministeriums. Auch bin ich persönlich seit Anfang dieses Jahres Mitglied der neugegründeten Initiative „CEOs for Future“. Unser Diskurs im Jahr 2022 Und wir setzen „VBV im Diskurs“ auch im Frühjahr 2022 weiter fort. Die Themen gehen uns hier definitiv nicht aus. Wir freuen uns schon, wenn Sie wieder mit dabei sind. Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich spannende Impulse durch das vorliegende Buch. Herzlichst, Ihr Andreas Zakostelsky PS: Wie immer freue ich mich auch dieses Mal über Ihr Feedback an a.zakostelsky@vbv.at

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— 15 — Kommunikation und Politik - Zwischen Talk und Action „Talk is Action“. Das ist ein Schlüsselmotto der noch sehr jungen wissenschaftlichen Disziplin der Nachhaltigkeitskommunikation. Damit ist nicht gemeint, dass diejenigen, die am lautesten schreien, auch die Nachhaltigsten sind – im Gegenteil. Damit ist gemeint, dass man nur durchs miteinander Reden ins Tun kommt. Richtiges, glaubwürdiges Kommunizieren über Werte und Verantwortung – das Kernthema der ersten Runde von VBV im Diskurs im Herbst 2021 – ist für Unternehmen eine immense Gratwanderung. Bei Nachhaltigkeits-Themen ist nämlich nicht, wie sonst bei Unternehmenskommunikation üblich, Reputation das Ziel. Es geht um Legitimation. Das bedeutet nichts anderes, als dass man rechtfertigen muss, was der gesellschaftliche Mehrwert der eigenen Organisation ist. Dies ist ein hoher Anspruch, der – nicht überraschend – oft im krassen Gegenteil zur derzeit vorherrschenden, sehr marketingorientierten Kommunikation steht. Gefragt ist hingegen eine Änderung der Grundhaltung – weg von reiner Positivkommunikation, weg von Selbstlob. Das ist nicht leicht, und viele Greenwashing-Beispiele zeigen, dass diese Änderung der Grundhaltung noch lange nicht verankert ist. Eines ist daher klar – und wurde auch bei der Diskussion offensichtlich: Gelernte Kommunikationsmechanismen greifen nicht mehr – vor allem wenn es um Themen der Nachhaltigkeit und Werte geht. Hier ist offene, diskursive und selbstkritische Kommunikation gefragt. Nur dann kann das erreicht werden, was allen KommunikatorInnen laut Eigenaussagen am wichtigsten ist: Glaubwürdigkeit und Vertrauen zu schaffen. Konsum als Hebel? Eine besondere Rolle dabei spielen Konsumentinnen und Konsumenten. Sie werden heute als ein wichtiger Hebel für Nachhaltigkeit gesehen. Prof.in (FH) Gabriele Faber-Wiener, MBA Center for Responsible Management „Wir müssen weg vomWunsch nach einfachen Lösungen.“

— 16 — Aber sind sie das wirklich? Bestimmen wir wirklich durch unseren Einkauf, wohin die Reise geht? Oder greift das nicht viel zu kurz und geht an den heutigen Machtverhältnissen vorbei? Genau das waren die zentralen Fragen der zweiten Runde. Der Grundtenor der Antworten war hier sehr klar: Wir tragen als Individuum nicht primär Verantwortung über den Konsum, sondern wir müssen vor allem vermehrt unsere Rolle als Bürgerinnen und Bürger wahrnehmen, um Druck auf die Politik zu machen. Nachhaltiger Konsum ist kein Ersatz für politisches Handeln – und er ist auch sicher nicht der Königsweg zu einer gerechteren Gesellschaft. Aber er ist ein wichtiger Bestandteil dieses Weges. Wie dieser Weg aussieht und welche politischen Hürden es noch gibt auf diesemWeg, das war der Fokus von Runde drei. Komplexität der Politik Wir alle wissen es: Die Zeit ist knapp. Wir haben noch rund 10 Jahre Zeit, um das Klima-Ruder herumzureißen. Wir wissen theoretisch genau, was zu tun ist – radikale Dekarbonisierung, geschlossene Stoffkreisläufe, Abholzung der Primärwälder stoppen etc. Die Praxis sieht anders aus. Der Kommentar von Greta Thunberg nach dem Ergebnis des Klimagipfels in Glasgow – „blah blah blah“ – bringt es, wenn auch sehr flapsig formuliert, auf den Punkt, was auch viele Studien und Publikationen attestieren, nämlich dass wir uns immer mehr von einer wirklich nachhaltigen Lebensführung wegbewegen. So steht z.B. im Sustainable Development Report 2019 der UNO klar, dass kein Land auf dem richtigen Weg ist, alle Ziele zu erreichen – viele machen sogar Rückschritte. Das Konzept Nachhaltigkeit ist zwar allgemein anerkannt, also politisch de jure gewollt, aber entfaltet faktisch keine Wirkmacht. Eine zentrale Hürde dabei ist die fehlende Governance für globale Herausforderungen, die gerade für multinationale Unternehmen als Korrektiv zentral wäre. Eine weitere Hemmschwelle für politisches Handeln ist eine sehr menschliche: PolitikerInnen denken in Wahlzyklen, d.h. Legislaturperioden. Sie haben einen kurzen und linearen Fokus. Nachhaltigkeit fordert aber per Definition langfristiges und komplexes Denken, d.h. PolitikerInnen müssen jetzt über die nächsten Jahrzehnte entscheiden und dabei zukünftige Generationen sowie drohende Koppelungs- und Kippeffekte berücksichtigen.

— 17 — Das ist nicht leicht, doch was ist die Alternative? Aufgeben ist keine Option. Das war und ist der Grundtenor der Diskussion, denn der mangelnde Fortschritt hängt ja mit der Komplexität der Gegebenheiten zusammen, nicht mit dem Grundkonzept als solches. Nachhaltigkeit ist einfach eine ungeheuer schwierige Aufgabe. Es gibt nicht die eine Lösung. Es gibt nicht den einen Akteur, der dieses System neu entwerfen kann. Darum ist ja der umfassende Blick auf die Barrieren so wichtig. Das heißt, wir müssen weg vom Wunsch nach einfachen Lösungen, weg von diesem Aktionismus, der gerade bei Corporate Social Responsibility heute oft betrieben wird. Wir müssen hinter die Fassaden schauen – und wir müssen hinterfragen. Das bedeutet für uns Einzelne, und da schließe ich mich nicht aus, wir müssen alle Spielräume nutzen, die wir in unseren jeweiligen Rollen haben. Einer dieser Hebel und Spielräume ist der Diskurs – wir werden dazu beitragen, ihn auch in Zukunft zu fördern und voranzutreiben. Ich freue mich darauf!! Mit den besten Grüßen, Gabriele Faber-Wiener

— 18 — Vom REDEN ins TUN Nachhaltig kommunizieren – zwischen Eigenlob und Greenwashing

— 19 — • Wie kommuniziere ich meine Nachhaltigkeits- themen glaubwürdig? • Wer kommuniziert diese Themen? Ist Nachhaltigkeit Chef-Sache? • Inwieweit sind Marketing und CSR ein Widerspruch? • Wie kann ich Greenwashing vermeiden? VBV im Diskurs – 14. Oktober 2021

— 20 — DIin Dr.in Hildegard Aichberger Vorständin, oekostrom.at Hildegard Aichberger ist eine der renommiertesten Umweltmanagerinnen Österreichs. Sie ist seit Jänner 2021 Vorständin bei der oekostrom AG, davor war sie u.a. Kommunikationsleiterin bei der Caritas, Geschäftsführerin der ORF-Initiative Mutter Erde und über 7 Jahre Geschäftsführerin des WWF Österreich. MMag.a Gerda Holzinger-Burgstaller Vorstandsvorsitzende, Erste Bank Oesterreich Gerda Holzinger-Burgstaller ist seit Jänner 2021 CEO der Erste Bank Oesterreich. Sie war u.a. bei der Finanzmarktaufsicht tätig bevor sie 2006 in die Erste Group wechselte. 2019 wurde sie in den Vorstand der Erste Bank berufen. Zusätzlich war sie auch einige Jahre ehrenamtliche Vorständin der Zweite Sparkasse, die Menschen in prekären finanziellen Situationen unterstützt. Wolf Lotter Essayist und Gründungsmitglied, Brand eins Wolf Lotter ist einer der renommiertesten Journalisten und Autoren im Bereich von Wirtschaft und Kommunikation. Er hat u.a. bei Profil und Falter gearbeitet und hat in Deutschland das Wirtschaftsmagazin Brand eins mitbegründet. Er ist Autor zahlreicher Bücher, u.a. das 2018 erschienene Buch „Innovation – Streitschrift für barrierefreies Denken“. ZU GAST:

— 21 — Volker Plass Geschäftsführer, Arche Noah Volker Plass ist seit kurzem Geschäftsführer der Arche Noah – ein Zentrum, das Kulturpflanzen und altes Saatgut schützt und bewahrt. Volker Plass ist seit Jahrzehnten im NGO- und Umweltbereich aktiv, war u.a. Gründer und Bundessprecher der Grünen Wirtschaft und zuletzt Programm-Manager von Greenpeace Österreich. Prof.in Dr.in Franzisca Weder Senior Lecturer University of Queensland, School of Communication and Arts, Brisbane/Australien Franzisca Weder ist Professorin für Nachhaltigkeitskommunikation an der University of Queensland. Sie ist derzeit an der Uni Klagenfurt karenziert. Seit Kurzem ist sie zudem Chair der International Environmental Communication Association, eine Vereinigung von WissenschafterInnen, die sich der Umweltkommunikation annehmen. VBV IM DISKURS

— 22 — Wo Greenwashing anfängt ...

— 23 — Nachhaltigkeit kommunizieren? Was vor 30 Jahren noch absolute Nische war, gehört heute zum guten Ton. Kein Unternehmen kommt mehr an dem Begriff der Nachhaltigkeit vorbei. Das ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammende Konzept ist zum „Must-Have“ geworden, und das spiegelt sich auch in der Kommunikation wider. Dementsprechend an dieser erscheinen alleUnternehmen grün und ökologisch. Die Grenzen zumGreenwashing sind dabei aber fließend. „Heute kannman nicht nicht nachhaltig sein“, sagt Gabriele Faber-Wiener in Anlehnung an das berühmte Zitat des Philosophen und Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawick „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Es gibt kaum ein Unternehmen, das sich nicht in Kommunikation und Marketing mit dem Thema auseinandersetzt. Bei der VBV Gruppe sind Klimaschutz und Nachhaltigkeit bereits in den Unternehmenswerten verankert, betont Generaldirektor Andreas Zakostelsky. Die Veranstaltungsreihe „VBV im Diskurs“ ist ein Teil einer langfristigen Kommunikationsstrategie. „Es war uns wichtig, dieses gesellschaftlich so wichtige Thema breit zu diskutieren und von unterschiedlichen Standpunkten zu beleuchten“, beschreibt Zakostelsky die Beweggründe, die zum Diskussionsformat führten. Alexander Van der Bellen: Begriff der Nachhaltigkeit gibt es bereits seit 1713 Die mittlerweile vierte Staffel wurde mit einem Statement von Bundespräsident Alexander Van der Bellen eröffnet. Dabei verwies dieser darauf, dass es den Begriff der Nachhaltigkeit bereits seit 1713 gibt. „Damals ging es darum, nicht mehr Bäume zu fällen, als nachwachsen können“, so Van der Bellen, dem vor allem die Konkretheit dieser Definition gefällt, weil sie klar aufzeigt, was man im Sinne von Umwelt und Ressourcen tun und was man unterlassen muss. Heute – mehr als 300 Jahre später – wird der Begriff allerdings inflationär verwendet. Man hat den Eindruck, dass alles und jeder nachhaltig wäre. Es wird zunehmend unmöglich, Schein und Sein auseinanderzuhalten. Wenn Marketing und unternehmerisches Handeln sich weit voneinander entfernen, spricht man von „Greenwashing“ (sh. Box). Dem Vorwurf, sich diese

— 24 — Praxis anzueignen, sehen sich viele Unternehmen ausgesetzt. Es lauern manche Tücken und Fallstricke auf demWeg zur angemessenen Nachhaltigkeitskommunikation. Von Cracks und Complexity Keine „communication about sustainability“, sondern „communication for sustainability” – das fordert Franzisca Weder, Professorin für Umwelt- und Nachhaltigkeitskommunikation an der University of Queensland in Brisbane. Derzeit sieht sie den Fokus zu stark auf Nachhaltigkeit als Wohlfühlfaktor, auf positiven Erzählungen über Strategien und Aktivitäten. Was ihr dabei zu kurz kommt, ist die Komplexität und Widersprüchlichkeit, die das Thema in sich trägt. Sie fordert daher auf, mehr über den nötigen Prozess zu reden, um zur Nachhaltigkeit zu gelangen und eine „Kommunikation für Veränderung“ einzuleiten. Auch im Unternehmen gilt es auszuhandeln, was eine nachhaltige Zukunftsorientierung bedeutet, dabei werden nicht alle einer Meinung sein. Die Wahrheit ist demMenschen zwar zumutbar – um Ingeborg Bachmann zu bemühen – aber nicht immer angenehm. „Nachhaltigkeit bedeutet grundlegende Veränderung und grundlegende Veränderungwird immer in erster Linie, zumindest kurzfristig, als schmerzvoll empfunden“, so Volker Plass, Geschäftsführer von Arche Noah, eines Pionierbetriebs in Sachen Biodiversität und Nachhaltigkeit. Plass findet im Übrigen, dass der Begriff Nachhaltigkeit gar nicht so komplex ist, wie oftmals angenommen. Im Gegenteil sei er eigentlich einfach zu verstehen: Unternehmen, die einen nachhaltigen Lebensstil unterstützen, sind demnach nachhaltige Unternehmen. Die Konsequenzen daraus seien aber um ein Vielfaches komplexer und vor allem würden sich Politik und Wirtschaft gerne an den konkreten Schritten vorbeimogeln. „Viele Produkte, die heute produziert werden, dürften so eigentlich nicht mehr erzeugt werden“, sagt Plass, „und die Politik müsste eigentlich Rahmenbedingungen einleiten, die das Leben der Bürgerinnen und Bürger ganz dramatisch verändern.“ Die Angst, Wählerinnen und Wähler damit zu verprellen, bringe die Politik in einDilemma, so Plass. Unternehmen und Politik gingen davon aus, dass eine solche massive Änderung des Lebensstils „nicht kommunizierbar“ ist, und flüchten sich ins Greenwashing. „Grundlegende Veränderung wird immer in erster Linie als schmerzvoll empfunden.“ Volker Plass

— 25 — Gerade diese Einschnitte und Störpunkte, Franzisca Weder nennt es „Cracks“, sind aber nötig, um aufgerüttelt zu werden und ein radikales Umdenken bei Menschen einzuleiten. Um diese „Cracks“ und den Zuwachs an Komplexität zu verdauen und positiv damit umzugehen, braucht es entsprechende Bildung und Schulung. Auch der Wissenschaftskommunikation kommt laut Weder eine wichtige Rolle zu, um das Thema Nachhaltigkeit für die Menschen verständlich zu machen. Und im Unternehmen muss diese Haltung von der Unternehmensführung kommuniziert werden. „Der oder die CEO muss als Vorbild vorangehen und zwar in totalem Diskurs mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen“, sagt Andreas Zakostelsky. „Die stärkste Kraft entwickelt sich, wenn die Aktivitäten gemeinsam getragen werden.“ Weg vom reinen Reporting Was jedenfalls nicht funktioniert ist, eine reine Rechtfertigung des unternehmerischen Tuns in Form von Nachhaltigkeitsberichten. Diese Meinung vertritt Hildegard Aichberger, Vorständin der oekostrom AG. Diese Berichte würden, ihrer Auffassung nach, keinen gesamtgesellschaftlichen Kontext transportieren. Es würde die Einordnung der Thematik in einen universellen Zusammenhang fehlen. „Wenn wir uns weiter mit demReporten der Aktivitäten befassen, geht genau das verloren, nämlich: Wie passt das ins Gesamtbild? Wie geht sich das in Summe aus?“, so Aichberger. Es müsse eine Brücke geschlagen werden zwischen Unternehmensfokus und dem breiten Spektrum der Nachhaltigkeit: „Die Frage, die ich als Unternehmen beantworten muss, ist: Welchen Beitrag leiste ich?“ Der positive Einfluss auf die Gesellschaft ist für Aichberger auch der eigentliche Unternehmenszweck, wenn von Nachhaltigkeit gesprochen wird. Unternehmen, die einen solchen Beitrag nicht leisten können, müssten dann in letzter Konsequenz geschlossen werden. Nicht selten scheitern Unternehmen aber an der Compliance, von der sie förmlich „erschlagen werden“, wie Brand eins-Redakteur und Autor Wolf Lotter zu bedenken gibt. Rechtliche und formale Zwänge würden Unter- „Der oder die CEO muss als Vorbild voran- gehen und zwar in totalem Diskurs mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Andreas Zakostelsky “ „Die Frage, die ich als Unternehmen beantworten muss, ist: Welchen Beitrag leiste ich? Hildegard Aichberger “

— 26 — Was steckt hinter dem Begriff Greenwashing? Wer Greenwashing betreibt, gibt vor „grün“ zu sein, ohne tatsächlich entsprechende Maßnahmen im Rahmen der Wertschöpfung zu setzen. Wie erkenne ich Greenwashing? Die kanadischen NGO Terrachoice definiert folgende „Sieben Sünden“ des Greenwashings: 1. Versteckte Kompromisse: Geworben wirdmit umweltfreundlichen Aspekten, weniger „grüne“ Produkteigenschaften werden verschwiegen. 2. Fehlende Beweise: Nur eine Zertifizierung gibt Auskunft über tatsächliche Produktionsbedingungen bzw. Gegebenheiten. 3. Vage Aussagen: „Nachhaltige Baumwolle“ z.B. klingt zwar gut, heißt aber nicht automatisch, dass das Produkt ökologisch ist. 4. Irrelevante Angaben: Wenn ein Produkt damit beworben wird, dass eine ohnehin verbotene Substanz nicht enthalten ist (z.B. „FCKWfrei“)? 5. Das kleinere Übel: Oftwird ein Produkt mit einem anderen, noch weniger umweltfreundlichen verglichen, damit Ersteres in einembesseren Licht erscheint. 6. Lügen: Sachlich falsche Aussagen, die Verbraucher gezielt in die Irre führen. 7. I rrelevante bzw. Fake-Labels: Oft von den Firmen selbst erfunden. Genaue Informationen hierzu finden Sie unter unter www.responsible-management.at Wer entlarvt Greenwashing? Vereinigungen wie Greenpeace oder der Verein für Konsumenteninformation (VKI) sind hier gute Anlaufstellen. Man kann als Konsument auch selbst aktiv werden. Der VKI hat im Frühjahr 2021 den Green- washing-Check gestartet, bei dem jeder selbst Tipps im Falle eines Verdachts abliefern kann. INFO

— 27 — nehmen dabei behindern, in der Praxis das zu tun, was sie eigentlich gerne möchten. Er plädiert daher für eine fundamentale Wende, die abseits der Verrechtlichung stattfinden muss. Diese Schwierigkeiten, die Reportingpflichten mit sich bringen, zeigen sich auch am Beispiel des sozialen Projekts „Die Zweite Sparkasse“ der Erste Bank. Diese hat keine Gewinnziele, arbeitet gemeinwohlorientiert und ausschließlich mit ehrenamtlichen Mitarbeitenden. Gerda Holzinger-Burgstaller, Vorstandsvorsitzende der Erste Bank Oesterreich betont, dass dieser Beitrag eigentlich ohne große begleitende Worte erfolgen sollte, jedoch werde man durch die Berichtspflicht regelrecht dazu gezwungen, dies dennoch öffentlich kundzutun. Es zeichnet sich ab, dass der Druck in Richtung Offenlegung nachhaltiger Tätigkeiten noch weiter zunehmen wird. Und zwar in Form der Taxonomie-Verordnung der Europäischen Union. Diese soll sicherstellen, dass für jede Wirtschaftstätigkeit eine Einstufung im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit möglich ist. Hintergrund ist die Bewertung des ökologischen Werts einer jeden Investition. Europäische Unternehmen sind, beginnend mit Jänner 2022, verpflichtet, in ihren nicht-finanziellen Erklärungen Angaben darüber aufzunehmen, wie und in welchem Umfang die Tätigkeiten des Unternehmens mit ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten verbunden sind. Durch die neu eingeführte Taxonomie bzw. Klassifikation wird festgelegt, was nachhaltig ist und was eben nicht. Das wiederum definiert, wie einfach oder wie schwer Unternehmen oder Projekte an Kapital kommen. „Grüne Assets werden gerne finanziert“, erklärt Holzinger-Burgstaller. Sie gibt aber zu bedenken, dass auch jene Unternehmen unterstützt werden müssen, deren Aktivitäten derzeit noch als „braun“ klassifiziert werden. Ihrer Ansicht nach ist die Taxonomie-Verordnung in diesem Zusammenhang nicht differenziert genug. Es wäre klar verständlich, was „grün“ ist und was nicht, aber was ist mit den Aspekten dazwischen? „Ich glaube nicht daran, dass es nur einen einzigen Schritt von braun zu grün geben wird, sondern es sind viele kleine Schritte.“, so Holzinger-Burgstaller. Transparenz über die tatsächlichen Nachhaltigkeitsqualitäten von Unternehmen ist ihrer Ansicht nach wichtig, aber die Taxonomie kann das nicht gut genug abdecken. „Ich glaube nicht daran, dass es nur einen einzigen Schritt von braun zu grün geben wird, sondern es sind viele kleine Schritte.“ Gerda Holzinger-Burgstaller

— 28 — Reframing versus Lustgewinn „Nicht gut genug“ ist auch das passende Stichwort, wenn es um die Frage geht, wie gut beleumundet persönliche Einschränkungen zum Nutzen der Umwelt sind. Das Thema Nachhaltigkeit muss nicht nur von Politik und Wirtschaft vorbereitet, sondern auch an die Menschen herangetragen bzw. diesen „verkauft“ werden. Zur Frage, wie man das am erfolgversprechendsten gestaltet, gibt es verschiedene Positionen. Volker Plass spricht von einer „Demut“ jener Menschen, die sich für ein nachhaltiges Leben entschieden haben. Gemeint sind hier Verzicht und dieAkzeptanz gewisser Einschränkungen und Entbehrungen. „Es geht für uns alle darum, die Lebensstile, die nachhaltig sind und die in Zukunft notwendig sein werden, auch als leistbar und als freudvoll zu empfinden.“, so Plass. Die Politik muss seiner Ansicht nach die Rahmenbedingungen so setzen, dass der neue Lebensstil erstrebenswert erscheint. Wolf Lotter setzt dem entgegen, dass anstatt der Demut eine andere Haltung gefragt ist: „Verzichtstheorien haben bislang nicht funktioniert, weil Menschen nicht so funktionieren.“ „Degrowth“, also die Verringerung von Konsum und Produktion, stellt für ihn keine passende Lösung für die Nachhaltigkeitskommunikation dar. Im Gegenteil ist er der Ansicht, dass diese Art von „Demutsideologie“ eher schadet. Andreas Zakostelsky vertritt die Auffassung, dass man mit positiver Kommunikation dieMenschen ab- und an Bord holen kann. „Auf der einen Seite ist das Wort Nachhaltigkeit aus meiner Sicht zwar wirklich ein Modewort geworden, aber es ist vielen nicht bewusst, was wirklich dahintersteckt, was sie selbst beitragen können.“ Er sieht die Aufgabe der Nachhaltigkeitskommunikation darin, Best-Practice-Beispiele und positive Aspekte zu kommunizieren, um möglichst vielen Menschen ein erstrebenswertes Vorbild zu geben. In diese Kerbe schlägt auch Holzinger-Burgstaller: „Ich habe selten ein Thema gesehen, wo es so einfach war, Mitarbeitende dafür zu gewinnen. Das ist ein Thema, das viele Menschen abholt.“ Für sie stellt diese positive Konnotation der Nachhaltigkeit eine Chance dar und als solche sollte man das auch begreifen. „Verzichts- theorien haben bislang nicht funktioniert, weil wir Menschen nicht so funktionieren.“ Wolf Lotter

— 29 — Ist nachhaltiges Werben ein Widerspruch in sich? Inwieweit die klassischeWerbung unser Mindset bezüglich Nachhaltigkeit positiv beeinflussen kann, darüber sind sich die Diskutantinnen und Diskutanten nicht ganz einig. „Ich glaube, dass gerade diese werbliche Kommunikation zu einer Abstumpfung führt, bevor sich eigentlich ein neuer oder veränderter Lebensstil normalisieren kann“, meint Wissenschaftlerin Franzisca Weder. Hildegard Aichberger wiederum sieht das differenziert. Einerseits kritisiert sie die starke Vereinfachung, die in der Werbung stattfinde, auf der anderen Seite gäbe es durchaus gute Beispiele, die den Nachhaltigkeits-Diskurs anregen könnten. Als Beispiel dafür führt sie einen Spot der Erste Bank an. Darin wird eine Frau mit Bildern von Umweltkatastrophen konfrontiert, während im Hintergrund der Klassiker „What a wonderful world“ erklingt. Es folgt jedoch kein pessimistisches Ende, keine Apokalypse, sondern eine Handlungsanweisung, indem die Frau an einen Schreibtisch tritt, um symbolisch an einer besseren Zukunft zu arbeiten. Die eindringlichen Bilder haben laut Holzinger-Burgstaller durchaus zu langen Diskussionen in der Führungsebene der Erste Bank geführt. „Wir haben versucht, in einen Dialog einzutreten und nicht nur alles im Licht der Glückseligkeit darzustellen“, sagt sie. Damit Nachhaltigkeitskommunikation oder auch Werbung mit grünem Anstrich funktioniert, muss die Zielgruppe immer wieder in einen Reflexionsprozess geführt werden. Das dadurch entstehende Problembewusstsein sorgt für langfristiges soziales Lernen und die Habitualisierung neuer Lebensstile. In diesem Sinne müssen die PR-Verantwortlichen auch ein „Störfaktor nach innen sein“, wie Franzisca Weder es formuliert. Dadurch kann ein langfristiger Nachhaltigkeitsgedanke in Unternehmen etabliert werden. Wie immer in der Kommunikation ist die Glaubwürdigkeit ein zentraler Faktor. Ist diese gegeben, eignet sich auch Werbung dazu, das Thema in der breiten Masse zu etablieren und ein Bewusstsein für bestehende Probleme zu schaffen. Wichtig dabei, so Hildegard Aichberger, ist die Einstellung, nicht nur ein Produkt verkaufen, sondern tatsächlich eine Änderung zum Besseren anstoßen zu wollen. □ „Ich glaube, dass gerade diese werbliche Kommunikation zu einer Abstumpfung führt, bevor sich eigentlich ein neuer oder veränderter Lebensstil normalisieren kann.“ Franzisca Weder

— 30 — Vom REDEN ins TUN KonsumentInnen – zwischen Macht und Ohnmacht

— 31 — • Was ist die Rolle der KonsumentInnen – und was nicht? • Was können sie in Punkto Nachhaltigkeit bewegen und womit überfordern wir sie? • Bedeutet Nachhaltigkeit im Konsum immer auch Verzicht bzw. höhere Kosten? • Was sind Barrieren seitens der KonsumentInnen? Wie können wir sie überwinden? VBV im Diskurs – 11. November 2021

— 32 — Univ.-Prof. Dr. Ingolfur Blühdorn Leiter Institut für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit, WU Wien Ingolfur Blühdorn ist Leiter des Instituts für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit an der WU Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind vor allem politische Soziologie, soziale Bewegungen und Umweltbewegungen. Er beschäftigt sich in seinen Publikationen und Büchern u.a. mit dem Zusammenhang von Lebensstil und Nachhaltigkeit. DIin Cornelia Diesenreiter Gründerin und CEO, Unverschwendet GmbH Cornelia Diesenreiter ist Mitgründerin und CEO von Unverschwendet, ein Unternehmen, das überschüssiges Obst und Gemüse verarbeitet. Die gelernte Köchin hat auch einen Bachelor in Recht und Wirtschaft – und ein Studium an der BOKU in Umwelt- und Bioressourcenmanagement. Vor kurzem ist ihr erstes Buch erschienen mit dem bezeichnenden Titel: „Nachhaltig gibt’s nicht“. Mag. Raphael Fink Nachhaltigkeits-Experte, VKI Raphael Fink ist Nachhaltigkeitsexperte des VKI, des Vereins für Konsumenteninformation, und befasst sich dort u.a. mit österreichischen und europäischen Gütezeichen. Sein Schwerpunkt liegt auf Greenwashing. Raphael Fink hat ein Studium der Soziologie sowie der Sozial- und Humanökologie absolviert und war davor bei Global 2000 als Nachhaltigkeitsexperte im Ernährungsbereich. ZU GAST:

— 33 — Kathrin Hartmann freie Journalistin, Autorin, Filmemacherin Kathrin Hartmann ist freie Journalistin und Autorin – und eine der pointiertesten KonsumkritikerInnen Deutschlands. Zusammen mit Werner Boote drehte sie die Konsumkritik „Die grüne Lüge“. Sehr bekannt ist auch das 2009 erschienene Buch „Ende der Märchenstunde. Wie die Industrie die Lohas und Lifestyle-Ökos vereinnahmt.“ Darüber hinaus schreibt sie auch laufend in deutschen Zeitungen. Dr. Ulrich Herzog Leiter der Sektion III Konsumentenpolitik und Verbrauchergesundheit, Gesundheitsministerium (BMSGPK) Ulrich Herzog ist Leiter der Sektion Konsumentenpolitik und Verbrauchergesundheit im Gesundheitsministerium. Er war Experte für Tiergesundheit und Lebensmittelsicherheit in der Landwirtschaftskammer und wechselte 2003 ins Kabinett Rauch-Kallat. Seit 2019 ist er Mitglied des Aufsichtsrates der AGES (Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit), sowie Mitglied des Managementboards der European Food Safety Agency. VBV IM DISKURS

— 34 — Vom Konsumenten zumBürger

— 35 — „Wir leben in einer Welt der gewählten Unmündigkeit, wo wir genau wissen: Jawohl, das sollte ich eigentlich nicht tun, aber ich mag es halt so gerne.“ Ingolfur Blühdorn Die Qual der Wahl im Supermarkt der Nachhaltigkeit Wir können uns als KonsumentInnen wahrlich nicht über ein zu geringes Angebot an Waren beschweren. Die Auswahl ist schier unendlich und wer die Wahl hat, hat bekanntlich auch die Qual. Welches Produkt erfüllt meine Bedürfnisse und ist im besten Fall auch noch nachhaltig? Daneben sollen auch Preis, Qualität und die dahinterliegende Wertschöpfungskette entsprechen. Doch habe ich als konsumierender Bürger oder als konsumierende Bürgerin wirklich ein Mitspracherecht und somit die Entscheidungsgewalt, oder wird mir die Kaufentscheidung eigentlich von anderer Stelle abgenommen? Die Frage, ob der konsumierende Mensch Macht besitzt, oder ob er eigentlich keine Wahl hat, bewegt die Diskussion zum Thema Nachhaltigkeit schon lange Zeit. Wer treibt da eigentlich wen? Die KonsumentInnen, die mit ihren Kaufentscheidungen Handel und Produzenten dominieren? Oder bleibt ihnen umgekehrt eigentlich keine Wahl, weil das Angebot stark vorselektiert ist? Das ist quasi ein „Henne-Ei-Problem“: Gibt es im Handel kein ausreichend nachhaltiges Sortiment, so argumentieren die KonsumentInnen, sie müssten kaufen, was ihnen vorgesetzt wird. Und der Handel wiederum erklärt, dass die Menschen ja die konventionellen Produkte stark nachfragen würden. Mit seiner Liedzeile, „Wie eine träge Herde Kühe schauen wir kurz auf und grasen dann gemütlich weiter“, zeichnete der Musiker Herbert Grönemeyer einst ein treffendes Bild der unhinterfragt konsumierenden Masse. Eines, das der Leiter des Instituts für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit an der WU Wien, Ingolfur Blühdorn, nur bestätigen kann: „Wir leben in einer Welt der Unmündigkeit, der gewählten Unmündigkeit, der absichtlichen Unmündigkeit, wo wir genau wissen: Jawohl, das sollte ich eigentlich nicht tun, aber ich mag es halt so gerne.“ Aus seiner Sicht sind die Entscheidungen der KonsumentInnen ganz stark vorbestimmt, und der Wille der Menschen, dieser „Bestimmung“ zu entfliehen ist enden wollend. Es sind im Wesentlichen zwei Komponenten,

— 36 — „Konsum ist keine Privatsache. Das Private ist politisch.“ Ingolfur Blühdorn die Konsum-Entscheidungen prägen: zum einen das vorgefilterte Angebot und zum anderen der Faktor Werbung. „Ich glaube, Konsumenten hätten wirklich eine große Marktmacht, wenn man davon ausgehen könnte, dass sie mehrheitlich, vernünftig und vor allem verantwortungsbewusst und verantwortungsvoll entscheiden. Und dem steht natürlich schon auch das Thema Werbung gegenüber“, erklärt Andreas Zakostelsky, Generaldirektor der VBV-Gruppe. Wenn ich eine Werbeanzeige für ein Produkt sehe und diese mich anspricht, ist es dann wirklich noch meine freie Entscheidung? Womöglich hätte ich mich ohne die schönen Bilder, die die Marketingabteilungen produzieren, niemals für den Kauf entschieden. Die Werbung spielt demnach eine wichtige Rolle imProzess des Konsums. Der vermeintliche freie Wille ist somit doch auch in gewisser Weise fremdbestimmt. Umso mehr, wenn man die unterschiedliche ökonomische Potenz von Herstellern oder Händlern berücksichtigt. Schließlich kann es sich nicht jedes faire Label leisten, auf diese Form der Umsatzsteigerung zu setzen. Aber auch das Angebot imHandel ist bereits beschränkt. Der Kunde oder die Kundin kann nur das kaufen, was in den Regalen bereitsteht. Die Entscheidung darüber, was sich dort befindet, wird jedoch an anderer Stelle getroffen. Ausschlaggebend ist hier natürlich die Nachfrage. Wenn niemand die preislich höher angesetzte Bio-Milch kauft, dann wird diese über kurz oder lang aus dem Sortiment genommen. Das folgt keiner nachhaltigen, sondern einer ökonomischen Logik. Von KonsumentInnen und BürgerInnen Dass Kaufentscheidungen stark vorbestimmt sind, bedeutet aber nicht, dass man sich als KonsumentIn darauf zurückziehen kann, wie Blühdorn meint: „Die erste Verantwortung der KonsumentInnen ist, mal nicht als Konsumenten zu entscheiden und zu handeln, sondern sich klarzumachen, Konsum ist keine Privatsache. Das Private ist politisch.“ Dies gilt insbesondere in einer Welt, in der eine Ökonomisierung aller Lebensbereiche stattfindet. CSR- und Kommunikationsexpertin Gabriele Faber-Wiener vom Center for Responsible Management leitet daraus die Metapher des Super-

— 37 — markts als Wahlzelle ab. KundInnen haben eine Marktmacht, derer sie sich bedienen können. Ein Kunde oder eine Kundin ist per se nicht nur KonsumentIn, sondern auch BürgerIn. Obwohl es durch die Einflussnahme von Werbung und Industrie so scheint, als wären wir ohnehin fremdgesteuert und in gewisser Hinsicht unmündig in unseren Kaufentscheidungen, so haben wir dennoch eine Wahlmöglichkeit. Man muss nicht zum billigsten Produkt greifen, oder zu jenem, das einen optisch oder aus emotionalen Gründen anspricht, sondern man kann sich bewusst für ein „verantwortungsvolles“ Produkt entscheiden. Hinterfragt man den eigenen Einkauf, so holt man sich als KonsumentIn ein Stück Macht zurück. Die freie Journalistin Kathrin Hartmann ruft dazu auf, sich „als Bürgerinnen und Bürger zu begreifen“. Solche haben politische Rechte, die auch im eigenen Konsumverhalten ausgedrückt werden. Der Blick muss weggehen von der eigenen Sicht als KonsumentIn und hin zum Selbstverständnis als BürgerIn mit politischem Einfluss. „Als KonsumentIn suche ich Schnäppchen, als BürgerIn suche ich Verantwortung und Gestaltungsmöglichkeiten“, beschreibt Blühdorn diese grundsätzliche Unterscheidung. Dadurch verschiebt sich die passive Haltung hin zu einer aktiven Handlungsfähigkeit. BürgerInnen haben politische Rechte, von denen sie auch Gebrauch machen können, wohingegen KonsumentInnen ungefragt kaufen, was ihnen vorgesetzt wird. Umweltsiegel: Mehr Schein als Sein? Handel und Politik sollten im Optimalfall jene Rahmenbedingungen schaffen, die es den mündigen BürgerInnen ermöglicht, fundierte und möglichst nachhaltige Kaufentscheidungen zu treffen. Doch wie können die Kunden erkennen welche Produkte nachhaltig sind? Betrachtet man die Darbietung der Waren genauer, so finden sich oftmals bereits neben dem Preisschild Aufkleber, die auf „Bio“ oder „Fairtrade“ hinweisen. Bei näherer Betrachtung stößt man häufig auf Gütesiegel, die kontrolliert biologische Landwirtschaft, nachhaltigen Anbau oder einen fairen Handel versprechen. Wer diese bewusst wahrnimmt, wird bestätigen können, dass es eine Unzahl solcher Siegel gibt, deren Aussagekraft auf

— 38 — Übersicht im „Siegel-Dschungel“: Schwierig, aber nicht unmöglich Eine entscheidende Frage im Kontext des nachhaltigen Konsums ist jene, die Ulrich Herzog, Sektionsleiter im Gesundheitsministerium im Rahmen der Diskussion gestellt hat: „Wie kann ich Informationen für ein Produkt dem Bürger, der Bürgerin bereitstellen, damit sie eine fundierte Kaufentscheidung treffen kann?“ Das Mittel der Wahl dazu sind Labels und Gütesiegel. Für die Bewertung ihrer Aussagekraft ist allerdings Vorinformation nötig. In Österreich sind vier Gütezeichen staatlich zertifiziert: AMA-Gütesiegel, AMA-Biosiegel, ÖGE-Gütezeichen und Austria Gütezeichen, wobei sich die ersten beiden ausschließlich auf Lebensmittel beziehen. Daneben existieren noch zahlreiche weitere Gütesiegel, die allerdings nicht staatlich überprüft werden. Dazu zählen etwa das Fairtrade-Siegel oder die Kennzeichnung „Bio-Austria“. Um den KonsumentInnen eine transparente Übersicht zu bieten, bewertet Greenpeace im Gütezeichen-Guide „Zeichen-Tricks“ die gängigsten Siegel auf einer fünfteiligen Skala. Das AMA-Gütesiegel beispielsweise wird dabei nur als „bedingt vertrauenswürdig“ eingestuft. Als einer der Gründe wird die Erlaubnis der Verwendung von gentechnisch verändertem Futtermittel in der Mast von Rindern und Schweinen kritisch hervorgehoben. Ebenso gehen die Tierschutzstandards laut Greenpeace häufig nicht über die Basisanforderungen hinaus. Als „sehr vertrauenswürdig“ hingegeben wird etwa das Siegel des Bio-Anbauverbands „Demeter“ bewertet. Dieses geht weit über die Mindestanforderungen der EU-Bio-Verordnung hinaus. Der Verband zählt in Österreich rund 200 Mitgliedsbetriebe. INFO

— 39 — Neben den diversen Siegeln spielen auch die Bio-Marken der Einzelhandelskonzerne eine wichtige Rolle. Das reicht von „Zurück zum Ursprung“ (Hofer) über „Ja! Natürlich“ (Rewe Gruppe) bis hin zu „Spar Natur*pur“. Allen Eigenmarken gemein ist die durchwegs positive Bewertung im Greenpeace-Gütesiegel-Guide, die zwischen „vertrauenswürdig“ und „sehr vertrauenswürdig“ rangiert. Man kann also guten Gewissens zu der Bio-Ware der Lebensmittelketten greifen, da diese teilweise über die vorgeschriebenen Vorgaben hinausgehen und sich selbst strengere Kriterien setzen. den ersten und häufig auch auf den zweiten Blick unklar sind. „Das ist ein Pseudoordnungsrahmen anstelle einer politischen Regulierung, der versucht das Kerngeschäft zu erhalten“, meint dazu Kathrin Hartmann. Diese Labels werden nicht selten von Produzenten oder vom Handel selbst kreiert und erfahren keine staatliche Prüfung. Es kann der Eindruck entstehen, sie wären Instrument zum Greenwashing und sind ein Marketingtool, um sich von der „siegellosen“ Konkurrenz abzuheben. „Eine fundierte Kaufentscheidung zu treffen, ist ein Ding der Unmöglichkeit bei all den Produkten, die man konsumiert“, meint Cornelia Diesenreiter, Gründerin der Unverschwendet GmbH. Wer beim Einkaufen alle erforderlichen Parameter erheben möchte – von der Herkunft des Produkts bis zur Prüfung der Lieferkette – würde verzweifeln. Die diversen Umweltzeichen sind – ob der bestehenden Unübersichtlichkeit und Vielfalt – nur bedingt hilfreich. „Der Einzelhandel ist die Brücke zwischen dem Produzenten und dem Konsumenten“, meint etwa Ulrich Herzog, Sektionsleiter imGesundheitsministerium. „Und der Einzelhandel versucht natürlich über verschiedenste Labeling-Systeme die Kundenströme zu beeinflussen, auch um „Gütesiegel sind ein Pseudo- ordnungsrahmen anstelle einer politischen Regulierung, der versucht das Kerngeschäft zu erhalten.“ Kathrin Hartmann

— 40 — sich voneinander abzugrenzen.“ Auch bei noch so guter Vorinformation verliert man anhand der schieren Fülle an Kennzeichen den Überblick und kann „dieses dicke Brett“, wie Gabriele Faber-Wiener es bezeichnet, „nicht alleine bohren“. Herzog ist allerdings schon der Ansicht, dass auch privatwirtschaftliche Siegel ihren Nutzen haben können. Diese können das Thema der Nachhaltigkeit bzw. der biologisch produzierten Lebensmittel innerhalb der KonsumentInnen gut positionieren und bekanntmachen. „Ohne das ‚Ja! Natürlich‘ Siegel von Billa beispielsweise wären biologische Lebensmittel sicherlich nicht so bekannt und erfolgreich in Österreich geworden“, gibt er zu bedenken. Dennoch gibt es einen Hang zum Wildwuchs, der möglicherweise regulatorisch zu begrenzen sei. Zakostelsky betont die Verantwortung des Staates, dafür zu sorgen, dass diese Gütesiegel überschaubar bleiben. Das Greenwashing sollte einer vernünftigen Regulierung weichen, ist auch Kathrin Hartmann überzeugt: „Ich will mir einfach gar keine Gedanken machen, wenn ich einkaufen gehe, ob ich jetzt Menschenrechtsverletzungen kaufe, oder ob ich Tierleid kaufe, sondern ich möchte, dass das politisch geregelt wird.“ Nicht jeder Konsument und jede Konsumentin hat die zeitlichen Ressourcen oder die Geduld, sich durch den Dschungel aus großen Versprechen und tatsächlichen Wahrheiten zu kämpfen. Wer zahlt den Preis für billige Produkte? Wahr ist allerdings auch, dass nach wie vor der Preis ein ganz entscheidendes Kriterium bei der Produktauswahl darstellt. Was billig ist, verkauft sich gut, obwohl oftmals das Bewusstsein vorhanden ist, dass niedrige Preise häufig auf den Schultern von Umwelt oder ArbeitnehmerInnen lasten. „Für billige Produkte hat immer irgendwer den Preis bezahlt“, konstatiert Diesenreiter. Es ist halt dann eben nicht der oder die KäuferIn. Nicht der Kunde im Supermarkt muss die Konsequenzen für Dumping-Preise im Handel tragen, sondern in den meisten Fällen jeneMenschen, die dieGüter produzieren. Diese leben häufig imglobalen „Für billige Produkte hat immer irgendwer den Preis bezahlt.“ Cornelia Diesenreiter „Der Einzelhandel ist die Brücke zwischen dem Produzenten und dem Konsumenten.“ Ulrich Herzog

— 41 — „Es sind ganz viele Kosten, Umweltschäden und soziale Ausbeutung aktuell nicht eingepreist.“ Raphael Fink Süden und arbeiten zum Teil unter menschenunwürdigen Bedingungen, um unsere preiswerten Waren zu erzeugen. „Es sind ganz viele Kosten, Umweltschäden und soziale Ausbeutung aktuell nicht eingepreist“, meint Raphael Fink, Nachhaltigkeitsexperte beim Verein für Konsumenteninformation (VKI). Die Einführung einer CO2-Steuer ist für ihn ein erster Schritt in Richtung Kostenwahrheit. Hier muss allerdings klar sein, dass bewusstes Konsumieren bzw. Lenkungseffekte in diese Richtung auch eine soziale Frage darstellen. Wer mit wenig Einkommen auskommen muss, kann sich nicht in gleichem Maße am nachhaltigen Konsum beteiligen. Bewusstes Konsumieren wird dort zumLuxus, wo die Deckung der Grundbedürfnisse nicht ausreichend gegeben ist. Und so kann etwa die Einführung einer Abgabe auf Kohlendioxidemissionen zu einem politischen Drahtseilakt werden. Die „Gelbwestenproteste“ in Frankreich haben gezeigt, dass da durchaus sozialer Sprengstoff schlummert. Ausgelöst wurden sie, nachdem die Regierung in Paris höhere Abgaben auf Treibstoffe angekündigt hatte. Jedoch hätte auch hier die Politik – genauso wie beim Wildwuchs der Öko-Labels – eine Lenkungsmacht, die sie nur bedingt zum Zwecke der Nachhaltigkeit benutzt: Lebensmittel sind heute vor allem deshalb so günstig, weil die Produktion mit allerlei Subventionen versehen wird. Das gilt für den konventionellen Bereich genauso, wie für den Bio-Sektor. Würde die Verteilung der Gelder noch stärker an nachhaltigen Kriterien ausgerichtet, so würden auch biologisch und kostenwahr produzierte Waren günstiger und könnten sich vom „Elitenprodukt“ zur „Massenware“ entwickeln. Verzichtsrhetorik, Prioritäten und gesellschaftlicher Konsens Häufig wird in diesem Kontext auch argumentiert, dass es weniger darum ginge, nachhaltige Produkte leistbar zu machen, sondern mehr darum, Verzicht zu üben. Die Menschen sollten zugunsten der Umwelt einfach ihre Konsumgewohnheiten beschränken. Doch wie nachhaltig ist diese Herangehensweise auf lange Sicht? Wer ständig zum Verzicht und der Einschränkung aufgerufen wird, verliert früher oder später die Lust daran.

— 42 — Überdies stellt sich die Frage nach der Lenkungswirkung. „Wenn ich auf etwas verzichte, dann ist das wahrscheinlich nicht einmal der Beistrich in der berühmten Weltgeschichte“, meint dazu Andreas Zakostelsky. In diese Kerbe schlägt auch Ingolfur Blühdorn, der die Verzichtsrhetorik als „Holzweg“ bezeichnet. Auch Raphael Fink kann damit nichts anfangen: „Ich persönlich mag den Begriff ‚Verzicht‘ nicht. Das ist einfach schon so negativ konnotiert. Ich persönlich würde eher von Genügsamkeit sprechen.“ Wenn sich alle bewusst hinterfragen und entscheiden, was wirklich essenziell ist, wäre dies bereits ein großer Schritt. Es geht weniger um den großen Wurf, den man ohnehin nicht lange durchhält, sondern um langfristiges Umdenken. Das Hinterfragen des eigenen Lebensstils und Konsums kann helfen, wobei es auch hier gewisse Fallstricke gibt. Nicht jede, auf den ersten Blick „gute“ Entscheidung, führt tatsächlich auch zu den erhofften positiven Effekten. Ein Beispiel aus dem Bereich der Mobilität: Zunehmend mehr KonsumentInnen entscheiden sich gegen Verbrennungsmotoren und setzen beimAuto auf einen Elektroantrieb. Dabei wird häufig ausgeklammert, dass die Rohstoffe für die Batterieproduktion in den Ländern des globalen Südens unter menschenunwürdigen und umweltzerstörenden Umständen gewonnen werden. Außerdem darf man nicht vergessen, dass ein E-Auto etwa in Deutschland eines mit mehrheitlichem Kohleantrieb ist und in Frankreich vor allem mit Atomstrom betrieben wird. Was vordergründig oft als logische und sinnvolle Verbesserung erscheint, gestaltet sich in der Gesamtbetrachtung dann eben doch etwas komplexer. Es braucht eine Portion Bewusstseinsbildung, etwa in Schulen, um die Bevölkerung möglichst früh ins Boot zu holen und sie an ihr demokratisches Recht und ihre Marktmacht zu erinnern. „Demokratisches Recht ist gewissermaßen auch eine Pflicht zur Nachhaltigkeit“, betont Raphael Fink, dem allerdings durchaus klar ist, dass Bewusstsein das eine und tatsächliche Handlungen das andere sind. Nicht nachhaltige Handlungen sind häufig gepaart mit dem klaren Bewusstsein, dass das, was man gerade macht, eigentlich nicht gut ist. Auch Blühdorn sieht im Bereich der Bewusstseinsbildung bestimmte Grenzen erreicht. EinMehr an Information und Umweltbildung führt nicht unbedingt zu einer gleichermaßen großen Veränderung im Verhalten. Aus seiner Sicht ist es nach wie vor wichtig, für Aufklärung zu kämpfen,

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